An diesem Freitag findet der EU-Kanada-Gipfel statt, und bei dieser Gelegenheit veröffentlicht die EU-Kommission den 1500 Seiten starken Text des Freihandelsabkommens Ceta. Der Freihandelspakt gilt als kleiner Bruder des geplanten Abkommens TTIP mit den USA.

Brüssel - Die Geheimniskrämerei endet Punkt 15 Uhr an diesem Freitag. Dann wird die EU-Kommission den 1500 Seiten langen Text des Comprehensive Economic and Trade Agreement (Ceta) veröffentlichen, über den sie mehr als fünf Jahre lang hinter verschlossenen Türen mit der kanadischen Regierung verhandelt hat. Kurz darauf wird es in Ottawa von Kommissionschef José Manuel Barroso beim Gipfeltreffen mit Kanadas Premier Stephen Harper als das ambitionierteste Freihandelsabkommen in Europas Geschichte gefeiert werden.

 

Lange hat sich kaum jemand für das Projekt interessiert. Erst die Kritik an der mit den Vereinigten Staaten geplanten Freihandelszone, abgekürzt TTIP, lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass die EU mit den Kanadiern bereits eine Art Blaupause für das Großvorhaben schafft. Entsprechend fordern die Gegner das Aus für beide Abkommen – etwa bei einem europaweiten Aktionstag am 11. Oktober.Freilich wird nun erst wirklich klar, was da zur Annahme oder Ablehnung auf dem Tisch der europäischen Regierungen, des Europaparlaments und möglicherweise auch des Bundestags liegt. Bisher haben nur die groben Fakten ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden. Bundespräsident Joachim Gauck, auf Staatsbesuch in Ottawa, stützt das Projekt: „Es kann die Voraussetzungen dafür schaffen, unsere Wirtschaftsbeziehungen auf ein neues Fundament zu stellen und Wohlstand und Beschäftigung auf beiden Seiten des Atlantiks zu mehren.“

Bundespräsident Gauck begrüßt das Projekt

Das ist bekannt: Das Handelsvolumen zwischen den Partnern soll, wenn 98 Prozent der Zollschranken fallen und neue Einfuhrregeln greifen, um fast ein Viertel steigen, Europas Wirtschaft um zwölf Milliarden Euro im Jahr wachsen. Das ist viel Geld, entspricht aber nur rund 0,1 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Der Dienstleistungssektor für Banken, Versicherungen oder der Schifffahrtssektor werden liberalisiert, europäische Unternehmen können künftig an öffentlichen Ausschreibungen selbst der kanadischen Provinzen teilnehmen. Und dann sind da die heiklen Bereiche Lebensmittel und Investitionsschutz.

Die EU darf mehr Käse nach Kanada liefern

Als Verhandlungserfolg wertet die europäische Seite im Agrarbereich, dass geografische Herkunftsbezeichnungen geschützt bleiben. Die Kanadier können somit auch künftig keinen „Parma Ham“ oder ihr eigenes „German Beer“ in Europa verkaufen. Zudem darf die EU mehr Käse nach Kanada liefern – 185 00 Tonnen mehr, um genau zu sein. Im Gegenzug dürfen zusätzlich 75 000 Tonnen Schweinefleisch und 45 838 Tonnen Rindfleisch in die EU importiert werden.

Und weil gerade hormonbehandeltes Fleisch auch eines der größten Aufregerthemen rund um die Gespräche mit den USA ist, sagt einer der Verhandler mit Kanada: „Wir werden von nirgendwoher hormonbehandeltes Rindfleisch importieren – weder aus Kanada oder aus den USA noch vom Mond.“ Und auch der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses, erkennt an, dass der mit Kanada gefundene Kompromiss durchaus Vorbildcharakter haben könnte, weil sich das Land dazu verpflichtet hat, eine eigene Rindfleischproduktion ohne Hormone aufzubauen. Lange hält Ceta daher für „ein relativ gutes Abkommen“.

Ein Haken namens ISDS

Bis auf einen großen Haken. „Ein Abkommen mit ISDS wird keine Mehrheit im Europaparlament finden“, droht Lange. Hinter der Abkürzung verbirgt sich keine indische Castingshow, sondern das „Investor State Dispute Settlement“, ein Schiedsverfahren, das Investoren Klagen gegen Staaten vor einer Art Privatgericht ermöglicht. Einst als Absicherung gegen willkürliche Enteignungen ausländischen Kapitals in Unrechtsregimen gedacht, besteht nun die Sorge, Konzerne könnten Schadenersatz einklagen, wenn neue Umwelt- oder Sozialgesetze ihren Gewinn schmälern. „Mit Ceta würde eine intransparente Paralleljustiz mit Sonderrechten für Konzerne etabliert“, kritisiert etwa Roland Süß vom Netzwerk Attac.

In Deutschland sind diese Bedenken längst in der Regierung angekommen. „Es ist völlig klar, dass wir diese Investitionsschutzregeln ablehnen“, sagte etwa Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) am Donnerstag im Bundestag. Dessen Handlungsspielraum müsse gewahrt bleiben. Die Sozialdemokraten Gabriel und Lange fordern daher Nachverhandlungen, die der scheidende EU-Handelskommissar ablehnt. „Wenn wir die Verhandlungen neu eröffnen, ist das Abkommen tot“, so Karel De Gucht.

Hinter den Kulissen gibt es aber Kompromissbereitschaft

Seine Behörde wirbt für den bestehenden Text – mit neuen Garantien, damit die Schiedsgerichte nicht missbraucht werden und öffentlich tagen. So sollen sie einem der Verhandler zufolge nur noch in wenigen Fällen angerufen werden können – bei Enteignungen ohne Entschädigung oder einer Diskriminierung gegenüber inländischen Firmen. Attac spricht freilich von „schwammigen Formulierungen“. Und auch Ausschusschef Lange reicht das nicht, da er – in Verträgen mit Rechtsstaaten erst recht – grundsätzliche Bedenken hegt: „Für dieses Instrument gibt es auch keinen ökonomischen Grund. Brasilien hat es nicht, und es wird dennoch wild investiert.“ Angesichts der Kritik zeigt man sich in der Brüsseler Behörde verwundert, dass die Mitgliedstaaten noch keinen Versuch unternommen haben, diesbezüglich die Verhandlungsleitlinien zu ändern, nach denen sich der Handelskommissar zu richten hat: „Sie könnten jederzeit das Mandat ändern.“ In der Bundesregierung wird eingeräumt, dass der Kommissar darin tatsächlich noch aufgefordert ist, über Investitionsschutz zu verhandeln. Andererseits seien die Bedenken gegen die Schiedsgerichte in den wöchentlichen Brüsseler Expertensitzungen klar benannt worden.

EU-Kommission hat öffentliche Anhörung zu den Schiedsgerichtsverfahren eingeleitet

Hinter den Kulissen gibt es aber Kompromissbereitschaft. So ließ sich die Kommission darauf ein, den Vertrag noch nicht zu parafieren – was als erster halboffizieller Akt auf dem Weg zur Ratifizierung gilt. „Alles kann geändert werden, solange die Tinte noch nicht trocken ist“, sagt ein Beamter dazu: „Die EU-Kommission steht zu dem Text, die EU als Ganzes noch nicht – wir werden sehen, was die weiteren Gespräche bringen.“ Denn es gibt auch in Kanada eine Debatte über die Schiedsgerichte, da ein Unternehmen gerade die Regierung verklagt hat, weil ihm die Genehmigung zur Schiefergasgewinnung entzogen wurde.

Und schließlich hat die EU-Kommission eine öffentliche Anhörung zu den Schiedsgerichtsverfahren eingeleitet, deren Ergebnisse noch ausstehen. Sollten die dem bisherigen Ansatz bei den Ceta- und TTIP-Abkommen widersprechen, so Lange, „dann muss man ohnehin nachverhandeln“.