In der nächsten Woche verhandeln Europäer und Amerikaner wieder über den Freihandelsvertrag TTIP. Widerstand gibt es gegen das Klagerecht von Konzernen gegen Staaten.

Brüssel - Zum Weißen Haus ist es ein Katzensprung. In Nummer 701 in Washingtons 18. Straße hat, als Teil der Weltbank, das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten seinen Sitz. Es ist der Ort, an dem die meisten Auseinandersetzungen zwischen Staaten und Investoren ausgetragen werden. Unter dem Kürzel ISDS sind diese privaten Schiedsgerichte ins Zentrum der Debatte über das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten gerückt. Und es dürfte jene, die es vor globaler Herrschaft amerikanischer Konzerne gruselt, nicht eben beruhigen, dass zwischem dem wichtigsten Schiedsgericht und Barack Obamas Amtssitz gerade einmal ein halber Kilometer liegt.

 

Auch bei der achten Verhandlungsrunde nächste Woche in Brüssel wird dagegen demonstriert, dass Firmen Schadenersatz verlangen, wenn Umwelt-, Gesundheits- oder Sozialgesetze den Profit schmälern. Und dass dies nicht vor normalen Gerichten geschieht, sondern per ISDS, im Investor-State-Dispute-Settlement-Verfahren.

Die private Paralleljustiz ist keine Neuheit

Eine Reihe bekannter Beispiele gibt es mittlerweile. Der US-Tabakkonzern Philip Morris hat Australien verklagt, weil es Zigarettenpackungen ohne vermeintlich coole, zum Rauchen animierende Markennamen vorschreibt. Und Schwedens Energieriese Vattenfall verlangt vom deutschen Steuerzahler wegen des Atomausstiegs 3,7 Milliarden Euro – in der Logik der Investitionsschutzklauseln eine indirekte Enteignung der wertlos gewordenen Meiler und damit schadenersatzpflichtig. Das Verfahren läuft unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Washingtoner Weltbank-Ableger.

Die private Paralleljustiz ist also keine Neuheit, die nun erst mit den avisierten Freihandelsverträgen mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP) über die Europäische Union käme. Insgesamt 3260 Handelsverträge weltweit verweisen in Streitfällen bereits darauf. 1400 davon haben die EU-Staaten abgeschlossen. Und die privaten Schiedsgerichte sind auch keine turbokapitalistische Erfindung aus Amerika. Sie waren erstmals im Jahr 1959 Teil eines Handelsabkommens, das die Regierung von Pakistan schloss – mit der gerade einmal zehn Jahre alten Bundesrepublik. Die deutsche Wirtschaft sollte vor Willkür in einem möglicherweise unzuverlässigen Rechtstaat geschützt werden.

Seit der Jahrtausendwende steigt die Zahl der Fälle

Lange Zeit waren ISDS-Klauseln praktisch irrelevant. Ein Fall pro Jahr galt als Richtschnur. Seit der Jahrtausendwende aber steigt die Zahl deutlich. Allein 2013 kamen der UN-Handelsorganisation Unctad zufolge 57 Fälle neu hinzu, 2014 weitere 40. Insgesamt sind es nun 608.

Für Kritiker ein gefährlicher Trend, der mit den transatlantischen Superabkommen verstärkt werde. „Tausende von Investoren kommen in den Genuss neuer Sonderklagerechte“, schreibt Thomas Fritz in einer Studie für die Protestplattform Campact, weil US-Firmen knapp 51 000 Niederlassungen in der EU unterhielten. Befürworter halten die gestiegene Gesamtzahl dagegen noch für klein – angesichts eines Volumens von rund 25,5 Billionen Dollar an Direktinvestitionen im Ausland.

Europa sieht sich als Nutznießer

Warum sich die deutsche Wirtschaft in Gestalt des Dachverbandes BDI „für einen robusten Investitionsschutz mit einem Investor-Staats-Schiedsmechanismus im TTIP“ einsetzt, hat einen einfachen Grund: Europäische Firmen haben mehr als die Hälfte der globalen Auslandsinvestitionen getätigt und gut die Hälfte der Klagen eingereicht – während laut Unctad US-Firmen für 22 Prozent verantwortlich zeichnen. „Wir sind die größten Nutznießer des Systems“, so der EU-Beamte Rupert Schlegelmilch kürzlich im Europaparlament.

Seine Behörde wurde daher von den 28 Regierungen mit einem Verhandlungsmandat ausgestattet, das Schiedsgerichte ausdrücklich einschließt. Es hat – trotz Kritik auch aus Reihen der Bundesregierung – aus den Hauptstädten bisher keinen Versuch gegeben, diese Art des Investitionsschutzes aus den USA-Gesprächen auszuklammern. Die EU-Kommission hat vielmehr selbst ein Moratorium verhängt, bis die Position der Europäer geklärt ist. Solange arbeitet Handelskommissarin Cecilia Malmström an besseren Schiedsverfahren. „Wenn wir nichts tun“, so die Schwedin in einem Interview, „werden sie noch immer da sein – aber auf altmodische Weise.“

Öffentliche Erklärungen sind die Ausnahme

Der Ist-Zustand nämlich ist mehr als problematisch. Das fängt bei der Intransparenz an. Presseauskünfte gibt es bestensfalls am Ende eines Verfahrens, für die es überdies keine Berufungsmöglichkeit gibt. Häufig ist nicht genau definiert, was mit „fairer und gleicher Behandlung“ von Investoren oder deren „indirekter Enteignung“ gemeint ist – ein Einfallstor für das „,Klage-Business’ internationaler Wirtschaftskanzleien“, wie Gewerkschaften sowie Umweltschutz- und Verbraucherverbände monieren. Dazu kommt, dass es meistens keinerlei Garantien für die Unabhängigkeit der drei Schiedsrichter gibt, von denen jede Seite je einen bestimmt. Der dritte wird gemeinsam ausgewählt.

Das heißt nicht, dass automatisch die Konzerne gewinnen. Den Unctad-Zahlen zufolge wurden von den 274 abgeschlossenen Fällen 43 Prozent im Sinne der Staaten und 31 Prozent zugunsten der Unternehmen entschieden worden. Der Rest waren gütliche Einigungen. Der Verdacht der Bestechlichkeit schwingt aber immer mit, je weniger über die Verfahren bekannt wird. Von 37 Entscheidungen im Jahr 2013 wurden überhaupt nur 23 veröffentlicht.

Eine Briefkastenfirma reicht nicht mehr

Im Freihandelsvertrag mit Kanada, der nun ratifiziert werden soll, haben Europas Verhandler viele Verbesserungen untergebracht. Einen verpflichtenden Verhaltenskodex für die Schiedsrichter gibt es, eine genauere Definition der Klagegründe sowie eine Klarstellung, dass kein Gesetz rückgängig gemacht werden muss. Es reicht nicht mehr, nur eine Briefkastenfirma in einem Land zu haben. Und Transparenz wird hergestellt. „Alle Dokumente werden veröffentlicht“, verspricht die EU-Kommission: „Alle Anhörungen werden öffentlich sein.“ Gewerkschaften oder Umweltverbände dürfen Eingaben machen.

Eine verpflichtende Beschwerdeinstanz hat jedoch auch der Testlauf für TTIP nicht zu bieten. Es ist auch nirgends definiert, wie hoch eine angemessene Entschädigung sein könnte. Wie überhaupt die Brüsseler Kommissare unlängst von einer öffentlichen Anhörung überzeugt wurden, dass es noch viel Luft nach oben gibt. Man wolle nun auch „das Recht zur Regulierung“ deutlicher fassen. Das Verhältnis zwischen staatlicher und privater Gerichtsbarkeit müsse exakt definiert sein. Dem Europaparlament schlug etwa die niederländische Rechtsprofessorin Freya Baetens von der Uni Leiden vor, dass „vor jedem ISDS-Verfahren die Gerichte vor Ort befasst oder Mediatoren eingeschaltet werden müssen“. Bisher können die meisten Investitionsstreitigkeiten gänzlich privat gelöst werden. Der betroffene Staat muss sich bei einer Klage auf ein Tribunal einlassen.

In den USA können Ausländer diskriminiert werden

Alle Reformversuche ändern aber nichts an der Grundsatzkritik, dass es überhaupt diese Art von Paralleljustiz gibt. „Diese Klauseln verstoßen gegen deutsches Verfassungsrecht, Recht der EU und bedeuten einen Systembruch des Völkerrechts“, schrieb etwa der Exverfassungsrichter Siegfried Broß gerade in einem Beitrag. Das Hauptargument, mit dem sich auch eine Mehrheit des Europaparlaments gegen ISDS ausspricht: „Zwischen funktionierenden Rechtsstaaten ist das unnnötig“, sagt der SPD-Europaabgeordnete und Handelsausschussvorsitzende Bernd Lange.

Die Befürworter beiderseits des Atlantiks, namentlich Wirtschaftsverbände, halten dagegen: Der Verband Businesseurope verweist darauf, dass die US-Justiz kein Verbot der Diskrimierung ausländischer Investoren kenne. Die Professorin Baetens sieht wegen der „Verbundenheit nationaler Gerichte mit dem eigenen Heimatstaat vor allem bei Jury-Entscheidungen“ keine ausreichende Sicherheit für EU-Firmen in den USA. Die Amerikaner wiederum wollen sicherstellen, dass sie überall die gleiche Rechtssicherheit bekommen. Die Länder Bulgarien, Rumänien oder Ungarn werden in diesem Zusammenhang genannt.

Wo also wird in Zukunft Recht gesprochen? Die Auseinandersetzung geht weiter.