Kreis- und Gemeinderäte hätten zum Freihandelsabkommen TTIP gar nichts zu sagen – sagen Juristen des Bundestags. Das sehen der Landkreistag und der Städtetag ganz anders. Die Kommunen befürchten negative Auswirkungen auf kommunale Aufgaben wie die Trinkwasserversorgung, die Krankenhäuser oder den öffentlichen Personennahverkehr.

Stuttgart - Das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zwischen der Europäischen Union und den USA verursacht schon lange Zeit viele Diskussionen. Auch in Gemeinderäten und Kreistagen wird darüber debattiert, welche Auswirkungen es auf kommunale Aufgaben wie die Trinkwasserversorgung, die Krankenhäuser oder den öffentlichen Personennahverkehr haben könne. So hat der Gemeinderat von Kornwestheim (Kreis Ludwigsburg) über TTIP diskutiert – und das Abkommen rundweg abgelehnt.

 

146 Städte und Gemeinden sind „TTIP-freie Kommune“

Die Luft hätten sich die Kornwestheimer sparen können. Zu dem Schluss kommt jedenfalls der wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Gemeinderäte hätten sich ausschließlich mit Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu befassen, heißt es im aktuellen Infobrief aus Berlin. Das gelte auch für symbolische Erklärungen. Diese seien ebenso rechtswidrig wie die „bloße Befassung“. Bürgermeister dürfen es also nicht einmal zulassen, dass über das Thema in ihren Sitzungssälen auch nur gesprochen wird. Im Kornwestheimer Rathaus reagiert man einsilbig. Die Große Kreisstadt ist der einzige Ort in der Region Stuttgart, der bei dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac als TTIP-freie Kommune gelistet ist. Bundesweit sind Attac 146, im Land sieben Städte und Gemeinden bekannt, darunter Freiburg und Tübingen. Man werde den Gemeinderat über die Rechtsauffassung des wissenschaftlichen Dienstes informieren, lässt der Erste Bürgermeister Dietmar Allgaier mitteilen. „Weitere Kommentierungen geben wir zu diesem Thema nicht ab.“

Landkreistag kritisiert Berliner Juristen

Das Regierungspräsidium Stuttgart, zuständige Rechtsaufsicht für die Großen Kreisstädte, hält sich bedeckt. Die Kornwestheimer Entscheidung sei „(bisher) nicht bekannt“, sagt die Pressesprecherin Nadine Hilber. „Wenn eine Gesetzesverletzung vorliegt, liegt es im Ermessen der Rechtsaufsichtsbehörde, ob und welche Maßnahmen sie ergreift.“ Auch die Landratsämter in der Region halten sich zurück und verweisen auf den Landkreistag. Dort hat man eine klare Meinung. „Wir vertreten eine andere Auffassung als der wissenschaftliche Dienst“, sagt der Sprecher Jan-Ole Langemack. Immerhin berühre TTIP auch Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge, für die die Kreise zuständig seien. Also müssten die sich auch äußern dürfen.

Gerhard Mauch vom Städtetag formuliert es schärfer. „Es kann nicht sein, dass Gemeinderäte mundtot gemacht werden“, sagt der Dezernent. „Ich sehe sogar eine Pflicht zu informieren“, wie sich TTIP auswirke. Der Städte- und der Landkreistag arbeiten deshalb bereits an einer eigenen Verlautbarung.

Schon im Oktober hatten die kommunalen Spitzenverbände ein gemeinsames Positionspapier zu internationalen Handelsabkommen verabschiedet. Die Verbände sprechen sich grundsätzlich für TTIP aus. Man unterstütze das Ziel, durch den Abbau von Handelshemmnissen die Schaffung von Arbeitsplätzen zu befördern. Sechs Punkte aber werden kritisiert. So fordern die Spitzenverbände, typische kommunale Dienstleistungen müssten vor den Liberalisierungsvorschriften geschützt werden.

Im Rems-Murr-Kreis steht die Debatte noch aus

Dieses Papier erfährt Unterstützung. Erst kürzlich hat sich etwa der Geislinger Gemeinderat (Kreis Göppingen) der Erklärung angeschlossen. Auch ein Esslinger Kreistagsausschuss hat das Papier offiziell begrüßt. Der Böblinger Landrat Roland Bernhard hat in einem Brief an diverse Mandatsträger die Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände gestützt. Sein Ludwigsburger Kollege Rainer Haas hatte unter Europaabgeordneten schriftlich für die Wahrung der europäischen Verbraucherschutzstandards geworben.

Im Rems-Murr-Kreistag steht die Debatte aus. Die Grünen, die ÖDP und die Linke haben beantragt, der Kreistag möge eine weitere Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels ablehnen, sofern sie negative Auswirkungen auf die öffentliche Auftragsvergabe, die Energieversorgung, den Umweltschutz sowie auf die Daseinsvorsorge habe. Der Antrag werde gerade geprüft, teilt die Pressesprecherin mit. Der Waiblinger Landrat Johannes Fuchs hatte den Grünen vorgeschlagen, den Antrag in eine Resolution an die EU umzumünzen. „Zur Befassungskompetenz des Kreistags können auch Angelegenheiten gehören, die über dessen unmittelbaren Wirkungskreis hinausgehen“, schrieb Fuchs im Februar.

Die Berliner Juristen sehen das anders. Der Geislinger Oberbürgermeister Frank Dehmer betrachtet das Ganze entspannt. „Darüber sollen sich die Rechtsgelehrten streiten“, sagt er. „Ich hoffe, dass wir jetzt nicht ins Gefängnis kommen.“