Zwei Jahre nach seinem Rücktritt als Staatsoberhaupt ist Christian Wulff vom Vorwurf der Vorteilsannahme freigesprochen worden. Wulff wirkt erleichtert. Das Urteil macht den Verlust des Amtes und den gewaltigen Imageschaden freilich nicht wett.

Hannover - Was er jetzt tun werde? Christian Wulff lächelt, dann antwortet er. „Jetzt werde ich erst mal gemeinsam mit meiner Tochter meinen Sohn aus dem Kindergarten abholen“, sagt der ehemalige Bundespräsident und lächelt noch ein bisschen mehr. Eben hat ihn die zweite große Strafkammer des Landgerichts Hannover vom Vorwurf der Vorteilsannahme freigesprochen. Tochter Annalena sitzt an diesem Tag mit im Gerichtssaal. Die 20-Jährige hört mit eigenen Ohren die Worte von Richter Frank Rosenow: „Der Angeklagte Wulff wird freigesprochen. Ihm steht für die erlittenen Durchsuchungsmaßnahmen eine Entschädigung zu.“

 

Seine Kinder würden „ihren Vater jetzt etwas erleichterter erleben“ als die vergangenen zwei Jahre, sagt Wulff noch. Dann verlässt er den Vorplatz des Gerichts. Für Wulff ist die vielleicht schlimmste Zeit seines Lebens vorbei. Seine Verteidiger jedenfalls glauben fest an eine Rechtskraft des Urteils. „Das Urteil ist in Stahl gegossen“, sagt Verteidiger Bernd Müssig. Die Staatsanwaltschaft will prüfen, ob sie Revision einlegt. Eine Woche hat sie dafür Zeit. Müssig sieht dem gelassen entgegen. „Borniertheit und Blindheit sind keine Revisionsgründe“, sagt er. Es wird an diesem Tag die einzig öffentlich geäußerte Spitze der Verteidigung gegen die Staatsanwaltschaft Hannover bleiben.

Wulff lächelt nicht einmal

Wulff hat sich jedes Zeichen des Triumphes verboten. Er lächelt nicht einmal, als Richter Rosenow den Freispruch verkündet. Der Mitangeklagte David Groenewold haut seinem Verteidiger auf die Schulter. Es wird der einzige Gefühlsausbruch bleiben. Eine Stunde lang begründet der Richter sein Urteil. Groenewold guckt währenddessen ebenso ernst wie Wulff und Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer.

Richter Rosenow, so scheint es, richtet sein Urteil vor allem an Eimterbäumer. Immer wieder guckt der Richter, während er spricht, über den Rand seiner Brille hinweg nicht die Angeklagten, sondern den Ankläger an. Er habe „lange überlegt“, sagt Rosenow, ob er etwas zu den „Begleitumständen“ des Verfahrens sagen solle. Er habe sich dagegen entschieden, sagt er, obwohl es „einiges zu sagen“ gäbe.

So habe er in den 25 Jahren, die er in der Strafjustiz tätig sei, noch nie „eine Verweigerung“ der Staatsanwaltschaft erlebt, in ihrem Plädoyer auch einen Strafantrag zu stellen. Die Staatsanwaltschaft hatte stattdessen eine Fortsetzung der Beweisaufnahme gefordert. Dies führte zu der absurden Situation, dass nach Ablehnung des Antrags alles formal wiederholt werden musste: die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sowie die letzten Worte der Angeklagten. Alle halten sich kurz, indem sie auf ihre Worte der vergangenen Woche verweisen. Die Staatsanwaltschaft weigert sich erneut, eine Strafe oder einen Freispruch zu beantragen.

Keine schlagkräftigen Beweise

„Es gibt schlicht keine schlagkräftigen Beweise gegen die Angeklagten“, sagt Richter Rosenow in seinem Urteil. Die Kammer habe „nicht feststellen“ können, dass Wulff bewusst Vorteile angenommen und es eine Unrechtsvereinbarung zwischen ihm und dem mitangeklagten Filmförderer David Groenewold gegeben habe.

Wulff und Groenewold mussten sich seit November 2013 vor Gericht verantworten. Laut Anklage der Staatsanwaltschaft habe sich Wulff der Vorteilsannahme schuldig gemacht habe, als er sich im September 2008 von Groenewold für rund 750 Euro zum Münchener Oktoberfest einladen ließ und sich im Gegenzug für dessen Filmprojekt „John Rabe“ eingesetzt habe. Das Gericht habe nicht feststellen können, dass Wulff bemerkt hat, dass Groenewold 400 Euro seiner Hotelrechnung übernahm. Es sei, so der Richter, auch nicht zu widerlegen, dass Wulff die ebenfalls von Groenewold übernommenen Babysitterkosten in Höhe von 110 Euro diesem noch im Hotel bar erstattet habe. Auch dass sich das Ehepaar Wulff am Vorabend des Oktoberfestbesuches von Groenewold zum Essen einladen ließ, sieht das Gericht nicht als erwiesen an. Der Richter hegt keinen Zweifel daran, dass Wulff und Groenewold seit Jahren eine „enge private Freundschaft“ verbinde. „In Restaurants zahlte mal der eine, mal der andere.“

Wulff hätte sich die Kosten ohnehin erstatten lassen können

Rosenow wirft der Staatsanwaltschaft vor, entlastende Punkte außer Acht gelassen zu haben. „Ist es wirklich vorstellbar, dass sich ein Ministerpräsident für Peanuts kaufen lässt?“, fragt der Richter in Richtung Ankläger. Er fragt es gleich zweimal. Und dann noch „in einer derart dilettantischen Art“, die so viel Spuren hinterlasse, mit einer „Bild“-Reporterin auf dem Oktoberfest mit am Tisch? Riskiere ein erfahrener Politiker für rund 750 Euro „Kopf und Kragen“, fragt er. Hätte es eine Korruptionsabsicht gegeben, hätte man doch einfach einen Tausender bar über den Tisch reichen können, so Richter Rosenow.

Außerdem gebe es „gar keinen Zweifel daran“, dass sich Wulff die Kosten für den Aufenthalt ohnehin hätte erstatten lassen können. Entweder von der Staatskanzlei, weil er sich auf dem Oktoberfest auch mit Verleger Hubert Burda und dessen Frau, Niedersachsens „Tatort“-Kommissarin Maria Furtwängler, zu dienstlichen Gesprächen traf. Oder von der CDU, weil der CDU-Politiker Wulff in München bei einer Wahlkampfveranstaltung der CSU sprach. Von Groenewolds Kostenübernahme habe „niemand außer dem Land Niedersachsen einen Vorteil“ gehabt. Und wo es keinen Vorteil gibt, kann es auch keine Vorteilsannahme geben.

Teile des Volkes applaudieren

„Im Namen des Volkes“ spricht Rosenow die Angeklagten vom Korruptionsvorwurf frei. Teile des Volkes applaudieren Wulff hinterher vor dem Gericht. „Ich gratuliere ganz herzlich zu Ihrem Freispruch“, ruft ihm ein älterer Mann zu. Ein anderer Mann, bekleidet mit einer Fantasieuniform, trägt ein Tablett mit Pferdeäpfeln, in denen Deutschlandfähnchen stecken. „Das ist eine Menge Mist, die die Staatsanwaltschaft hier macht“, erklärt er seine „Kunstaktion“. Vor nicht allzu langer Zeit, im März 2012, hatten noch einige Hundert Demonstranten den Großen Zapfenstreich zum Abschied des ehemaligen Staatsoberhaupts mit ohrenbetäubendem Vuvuzela-Getröte gestört, weil sie meinten, diese Ehre gebühre Wulff nicht. Die Zeiten haben sich geändert. Der Zorn der Menschen richtet sich nicht mehr gegen Wulff, sondern gegen die Staatsanwaltschaft.

„Was die anstehende rechtliche Klärung angeht, bin ich davon überzeugt, dass sie zu einer vollständigen Entlastung führen wird“, hatte Wulff am 17. Februar 2012, dem Tag seines Rücktritts vom Amt des Bundespräsidenten, gesagt, nachdem die Staatsanwaltschaft darum gebeten hatte, seine Immunität aufzuheben. Fast genau zwei Jahre später ist es dann so weit.

„Ich bin erleichtert und danke allen, die in den letzten zwei schwierigen Jahren zu mir gehalten haben“, sagt Wulff vor dem Gerichtsgebäude. „Nun kann ich mich wieder der Zukunft zuwenden und all den Themen, die mir immer am Herzen gelegen haben.“

Sein Freund Groenewold wird in der Hauptsache ebenfalls entlastet und wegen einer falschen eidesstattlichen Versicherung verwarnt. Groenewold kämpft mit den Tränen. „Ich freue mich jetzt auf einen Neuanfang“, ist alles, was er sagt.

Wulff macht sich auf zum Kindergarten

Wulff ist seit Dezember 2013 beim Oberlandesgericht Celle wieder als Rechtsanwalt zugelassen. Nach einem Bericht des „Focus“ soll er im März bei einer großen Wirtschaftskanzlei einsteigen. Wulff und seine Anwälte äußern sich nicht dazu. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir diesen Freispruch jetzt erst mal wirken lassen wollen“, sagt Wulff entschieden und macht sich auf zum Kindergarten.

Der Öffentlichkeit gibt Richter Rosenow an diesem Tag mit auf dem Weg, den Freispruch nicht zu klassifizieren. „Es gibt nur schuldig oder unschuldig“, sagt er: „Das ist wie bei einer Schwangerschaft. Ein bisschen schwanger geht nicht.“