Wen es bei Pegida-Parolen gruselt, der fürchtet vor allem die Wiederholung jenes Geschehens, von dem dieser Film erzählt. Im Sommer 1992 macht ein Mob in Rostock Ernst mit den Hassparolen.

Stuttgart - Langeweile prägt das Leben von Stefan (Jonas Nay), Robbie (Joel Basman) und den anderen Jungs. Täglich treffen sie sich vorm Plattenbau, hören Musik, zischen Biere und pöbeln herum. Schule und Lehrstelle sind uninteressant, Arbeit gibt es in Rostock kaum. In einem der Hochhäuser wohnt Lien (Le Hong Tran) mit ihrem Bruder und dessen schwangerer Frau. Lien arbeitet in einer Wäscherei und fühlt sich wohl hier, doch ihr Bruder will zurück nach Vietnam. Ihm gefällt die Stimmung im Bezirk nicht. Ihn stören die Roma, die vor dem Haus herumlungern und auf einen Platz im Asylbewerberheim nebenan warten.

 

Zwar ist Stefans Vater (Devid Striesow) eine große Nummer in der Lokalpolitik, aber viel Einfluss auf den Sohn nimmt er nicht. Oft muss er dienstlich unterwegs sein, und wenn er mal zuhause Rast macht, verschanzt er sich unterm Kopfhörer und spielt Klassikplatten.

Der Schrecken von Rostock-Lichtenhagen

Aus drei Blickwinkeln rekonstruiert der Regisseur Burhan Qurbani („Shahada“) in „Wir sind jung. Wir sind stark.“ das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen im Sommer 1992. Der 1980 in Deutschland geborene Sohn afghanischer Flüchtlinge hat als Kind die Ausschreitungen im Fernsehen verfolgt. Leute, die aussahen „wie die Eltern meiner Freunde“, hätten Nachbarn, die aussahen wie er, „mit schwarzen Haaren und Schlitzaugen“, angegriffen, hat er in einem Interview erzählt.

Qurbani versucht Tätern wie Opfern nahezukommen, ohne direkt Partei zu ergreifen, zu verurteilen oder klare Gründe für den Gewaltexzess zu benennen. Sein Film ist ein eindrückliches, keinesfalls leicht verdauliches Erinnerungsstück, das angesichts der aktuellen Debatten zu AfD, Pegida und der Furcht vor radikalen islamistischen Strömungen unbequem in die Gegenwart hineinragt.

In der Masse stark

Stilistisch zerfällt der Film in zwei Teile. Qurbani schildert das Leben der fiktiven Charaktere vor dem Pogrom in rauer, poetischer Schwarz-Weiß-Ästhetik. Yoshi Heimrath legt mit seiner Kameraarbeit viel Wert auf eine künstlerische, zunächst weniger dokumentarisch wirkende Bildgestaltung, beschönigt aber nichts.

Mit dem Einsetzen der historisch belegten Ereignisse wechselt der Film von Schwarz-Weiß zu Farbe. Mit einem Schlag scheint Qurbani die verblasste Erinnerung an die Krawalle wieder aufrufen zu wollen. Sind die Einstellungen im ersten Teil meist ruhig und distanziert, nimmt die Kamera nun die subjektive Sichtweise der Menschenmenge vor dem Haus ein. Wir werden zu einem Bestandteil des rechte Parolen grölenden Mobs.

Durch den Einsatz treibender Musik lässt uns Qurbani den Adrenalinstoß der Leute spüren, die sich in der Masse stark und allmächtig fühlen. In diesem auf Überwältigung setzenden Moment stellt sich eine unbequeme Frage: Hätte jeder von uns Teil dieses Mobs sein können?

Wir sind jung. Wir sind stark. Deutschland 2014. Regie: Burhan Qurbani. Mit: Jonas Nay, Devid Striesow, Le Hong Tran, David Schütter. 123 Minuten. Ab 12 Jahren.