Sie suchten nach dem Sinn des Lebens und fuhren mit klapprigen VW-Bussen bis in die entlegendsen Ecken der Welt. Ein neues Buch über die Morgenlandfahrer.

Sinnsuche - Mit einem VW-Bus als fahrbarem Untersatz schlagen in den 1970er Jahren Scharen von jungen Leuten auch in Württemberg ein neues Kapitel in den west-östlichen Beziehungen auf. Hermann Hesses philosophischen Kompass „Siddhartha“ griffbereit im Rucksack, brechen die Twens nach Indien, Afghanistan, Hauptsache weit weg. Sie schürfen nach dem tieferen Sinn des Lebens, dem sie dem Zeitgeist folgend im Orient auf die Spur zu kommen hoffen. Von dieser Suche handelt das jetzt im Frickenhausener Verlag Sindlinger-Burchartz erschienene Buch „Über Grenzen hinweg. Morgenlandfahrt in Aufbruchzeiten“.

 

Die Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer oder schlicht die von einer guten Portion Neugierde gespeiste Reiselust hatte die 21 Autoren auf Wanderschaft gebracht. Einer von ihnen ist der Verlagschef Peter Sindlinger selbst, der in einem 700-Seelen-Dorf im Nordschwarzwald aufgewachsen ist. „I war au scho en Afghanistan, mit em Fenger auf dr Landkart“, kommentiert der Zeitschriftenverkäufer des örtlichen Kramladens Sindlingers Reisepläne im Jahr 1976. Der 18-jährige Abiturient fährt zusammen mit zwei Kumpels in einem „Bulli“ – wie der VW-Bus heute noch liebevoll genannt wird – auf dem Landweg über Jugoslawien, die Türkei, Syrien, den Iran schließlich bis nach Afghanistan.

Auf dem langen Trip probieren die drei Kameraden auch Haschisch, das sie bereits von einem Amsterdamausflug her kennen. „Das Dope hatte eine so starke Wirkung, dass wir für die restliche Reise gewarnt waren: nie wieder bekifft ins Hamam, ins türkische Bad“, schreibt Peter Sindlinger rückblickend. Doch nicht nur beim Experimentieren mit Drogen, sondern bei zahlreichen anderen Gelegenheiten geht den Westlern auf ihrer Reise gen Osten manch ein Licht auf. Grandiose Landschaften, fremde Kulturen und Sitten, die in starkem Kontrast zum Gewohnten stehen, erweitern den Blickwinkel des Gewohnten.

Bei aller Faszination für das neue Fremde gibt es doch auch Momente des Heimwehs. Das Trio kehrt schließlich wieder glücklich von seiner Morgenlandfahrt zurück, die sich als prägend herausstellt. „Ohne diese Reise hätte ich vieles nicht kennengelernt, was mich zu einer näheren Beschäftigung mit den orientalischen Sprachen, Religionen, Kulturen, Literaturen gebracht hat“, resümiert Peter Sindlinger in seinem Beitrag.

Ebenfalls nach Afghanistan, „weg von der Konsumgesellschaft“, verschlägt es Regina Lüdert. Die 18-jährige Nürtingerin lernt Zaid kennen, einen „umwerfend gut“ aussehenden Paschtunen, der ihr prompt einen Heiratsantrag macht. „Mir wurde abwechselnd heiß und kalt“, eine Eheschließung kommt aber nicht in Betracht. Wie lange würde er sie als Europäerin behandeln? Für die junge Deutsche war klar: „Das Schicksal einer afghanischen Frau zu teilen kam für mich nicht in Frage – unter keinen Umständen – niemals.“

Nicht immer waren Afghanistan, Pakistan oder Indien die Ziele der Pilger. Viele von ihnen steuerten auch Marokko an. Dorothee Trommer, zusammen mit Peter Sindlinger Mitherausgeberin des Sammelbands, zog es hingegen nach Südfrankreich. In den Bergen oberhalb von Nizza verwirklicht sich die Nagolderin mit ein paar Freuden ihren Traum von einem alternativen Lebensstil. Irgendwann jedoch hat sie das Rumhängen und Kiffen satt.

„Eines Tages tauchte ein interessanter Mann mit einem Motorrad auf, mit dem bin ich einfach mitgefahren und nicht zurückgekommen“, schreibt Dorothee Trommer. Ihr neuer Gefährte träumte von einem Leben in abgeschiedener Zweisamkeit. „Aber ehrlich: das traute ich mir, oder uns, nicht zu. Und ich war 20. Zu jung für die Einsamkeit, fand ich. Ich ging nach Deutschland zurück“ – so wie am Ende die meisten der Morgenlandfahrer.