„Wer einen Menschen tötet, tötet die ganze Menschheit. Wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt.“ Diese Sure wurde beim Friedensgebet vor dem Göppinger Rathaus gleich mehrfach zitiert. Auch OB Guido Till stellte klar, dass in Göppingen ein offenes Miteinander gepflegt werde, da jeder dritte Bürger einen Migrationshintergrund habe.

Göppingen - Viele Migranten sind da, junge wie alte. Frauen mit Kopftüchern stehen neben Frauen, die ihr Haar offen tragen. Sogar junge muslimische Männer haben sich am Samstag zu einem interreligiösen Friedensgebet vor dem Göppinger Rathaus eingefunden. „Ich finde es wichtig, heute hier zu sein. Es sollte viel mehr Frieden auf der Welt geben“, sagt ein 16-jähriger Muslim. Zusammen mit seinem Freund harrt er bis zum Ende der Veranstaltung in der eisigen Kälte aus – eine Stunde lang.

 

Die Initiative für dieses Friedensgebet ging nicht von deutscher Seite aus. Vedat Dag, der Vorsitzende der Vereinigung Türkischer Vereine im Kreis Göppingen, hatte den Anstoß dazu gegeben. Er lebt in Ebersbach. Deshalb sind auch viele Ebersbacher gekommen, wie Hanns-Martin Weber. Der ehemalige Ortsvorsteher von Weiler mag solche Veranstaltungen nicht besonders, aber weil er Vedat Dag gut kennt, hat er sich zu den 200 bis 250 Menschen gesellt, die an dem Friedensgebet teilnehmen. Und weil er es wichtig findet, ein Zeichen zu setzen, gegen den Terror und gegen eine pauschale Verurteilung des Islam.

„Deutschland ist unsere Heimat“

Wer einen Menschen tötet, tötet die ganze Menschheit, wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt – diese Sure aus dem Koran stellte Vedat Dag an den Anfang seiner Rede. Im Namen der Muslime im Kreis Göppingen verurteilte er den Terroranschlag in Paris auf das Schärfste. Der Terror habe keine Religion. Er machte aber auch keinen Hehl daraus, dass er die von der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ veröffentlichten Karikaturen als beleidigend empfinde. Doch Kritik müsse friedlich geäußert werden. „Wir Muslime sehen Deutschland als unsere Heimat an“, schloss er. Deutschland sei ein wunderbares Land, und die hier lebenden Muslime wollten ihren Teil zu einer besseren Gesellschaft beitragen.

Als der Ebersbacher Imam Yavuz Yigit einen fremdartigen Gesang anstimmte, schien es, als halte die Welt kurz die Luft an. Nachdem er geendet hatte, erklärte er, dass er just jene Koransure rezitiert habe, auf die auch Vedat Dag seine Rede begründet hatte: „Wer einen Menschen tötet, tötet die ganze Menschheit. Wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt.“ Der Islam sei eine friedliebende Religion, und ein Muslim sei ein Mensch, vor dessen Hand und Zunge man sicher sei.

Till: Koran, Bibel und Thora sind Bücher der Liebe

Eingangs hatte Felix Müller, der Sprecher der Göppinger Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen, vor Islamfeindlichkeit gewarnt. Die meisten Muslime seien unbescholtene Bürger, die es angesichts eines aufkeimenden Hasses zu schützen gelte. „Unsere muslimischen Mitbürger können nichts für die terroristische Gewalt“, sagte er. Er mahnte zu Besonnenheit und Friedfertigkeit.

„Der Frieden beginnt bei uns, wir müssen Hass im privaten Umfeld vermeiden“, appellierte der Oberbürgermeister Guido Till. Er stellte klar, dass in Göppingen ein offenes Miteinander gepflegt werde, da jeder dritte Göppinger einen Migrationshintergrund habe. Er gab sich auch als überzeugter Christ zu erkennen. „Eine Gesellschaft wird nicht friedlicher, wenn die Religion abgeschafft wird“, sagte er. Die Bibel, der Koran und die Thora seien Bücher der Liebe, nicht des Hasses.

Dass Gott niemanden brauche, der in seinem Namen Rache übe, stellte der evangelische Dekan Rolf Ulmer klar. Die Zeiten seien vorbei, in denen sich die Angehörigen der verschiedenen Religionen gegenseitig die Köpfe einschlügen. „Wir haben gelernt, tolerant zu sein, das war ein langer, schwieriger Prozess“, sagte er. Nun gehe es darum, gemeinsam gegen Hass und Gewalt anzugehen und für Verständigung und Nächstenliebe einzustehen.