Der israelitische Steigfriedhof ist normalerweise nicht öffentlich zugänglich. Für die Projektgruppe Geschichte der Sozialen Stadt haben sich die Türen geöffnet und einen Blick auf eine andere Friedhofskultur und die Gräber berühmter Personen offenbart.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Bad Cannstatt - Am Eingang des israelitischen Steigfriedhofs am Sparrhärmlingweg drängen sich um kurz vor halb sechs schon viele Menschen, die Männer tragen alle Hüte oder Mützen. Sie alle wollen bei der Besichtigung des Friedhofs mit dabei sein. Doch eigentlich sind es viel zu viele Besucher für den kleinen Friedhof unweit von Stuttgarts ältestem Friedhof, dem Steigfriedhof. Deshalb entschied sich der Stadthistoriker Olaf Schulze kürzlich spontan, eine zweite Führung um halb sieben drangzuhängen. Mit so einem großen Andrang auf die Führung der Projektgruppe Geschichte der „Sozialen Stadt – Zukunft Hallschlag“ hatte er nicht gerechnet.

 

Der israelitische Friedhof ist normalerweise nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Für die Projektgruppe war dies in diesem Sommer aber doch möglich. Die letzten Bestattungen auf dem Friedhof im Cannstatter Stadtteil Altenburg fanden im Jahr 1941 statt, später wurde der kleine Friedhof geschlossen. Heute ist das Garten-, Forst- und Friedhofsamt der Stadt Stuttgart zuständig für die Pflege.

Steine statt Blumen schmücken die Grabplatten

Der Friedhof hat für eine israelitische Gemeinde eine hohe Bedeutung, zudem unterscheiden sie diese Friedhöfe gravierend von christlichen Friedhöfen. Blumenschmuck zum Beispiel ist dort nicht üblich, stattdessen werden kleine Steine auf die Grabplatten gelegt. „Das ist ein altes Symbol im jüdischen Glauben“, erklärte Schulze, der sich ehrenamtlich in der Projektgruppe Geschichte der Sozialen Stadt engagiert und als freier Historiker des Stadtmuseums Bad Cannstatt tätig ist. Ursprünglich seien jüdische Gräber auf einem freien Feld angelegt worden. „Da die Steine dort oft nach und nach weniger wurden, legte jeder gläubige Jude beim Vorbeigehen wieder einen dazu“, sagte der Historiker beim Rundgang über den Friedhof. Die ersten Beisetzungen auf dem israelitischen Steigfriedhof fanden übrigens bereits im Jahr 1873 statt. Die Grabsteine spiegeln die Bedeutung der jüdischen Gemeinde im Cannstatt des 19. und 20. Jahrhunderts wider. Neben Fabrikanten und Pferdehändlern liegt dort auch eine Großmutter Albert Einsteins, Jette Koch, begraben. „Das ist das bekannteste Grab hier auf dem Friedhof“, so Schulze.

Fabrikanten, Pferdehändler und Widerstandskämpfer

Er stellte seinen fünfzig Zuhörern aber auch viele andere bekannte Stuttgarter vor, die hier ihre letzte Ruhe fanden. Zu ihnen zählen etwa der Mitbegründer der Bettfedernfabriken Straus & Cie, Seligmann Löb Straus, oder auch Luis Elsas, der mit seinen Brüdern eine Weberei in Cannstatt betrieb. Der Kommerzienrat war auch Mitglied des Gemeinderats Bad Cannstatt und verstarb im Jahr 1898. „Seine Familiengeschichte ist sehr interessant“, sagte Schulze. Einer seiner Enkel ist nämlich Fritz Elsas, ein bekannter Stuttgarter Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, der später im Konzentrationslager Sachsenhausen erschossen wurde. Schulze gab aber nicht nur Informationen über Persönlichkeiten, sondern auch über Religion: Am Ende des Friedhofsrundgangs hätten die Besucher sich eigentlich ihre Hände waschen müssen. „Der gläubige Jude reinigt seine Hände, weil die Nähe der Toten unrein macht“, erläuterte Schulze diesen Brauch.

Die Projektgruppe Geschichte, die den Rundgang veranstaltete, ist ein Teilprojekt der Sozialen Stadt „Zukunft Hallschlag“. Das Projekt läuft von 2007 bis 2015, im Rahmen dessen werden in Hallschlag viele städtebauliche Investitionen vorgenommen wie die Sanierung von Straßen, neue Bolzplätze oder viele soziale Projekte in Kindergärten, Schulen oder im Sport.