Gerade bei den Kitaplätzen hakt es in Stuttgart gewaltig: Viele Eltern finden keinen Platz oder erst nach langer Suche. Und nun sind auch noch die Betreuungszeiten in vielen Kitas um eine halbe Stunde verkürzt worden. Familie und Karriere passen nun noch schwerer zusammen.
Turner Die Sache mit den Abholzeiten für die Kinder ist für mich völlig unverständlich. Wenn Sie zwei oder drei Kinder haben, dann kann es in Stuttgart sein, dass Sie zu unterschiedlichen Uhrzeiten in die Einrichtungen kommen müssen. Da mangelt es an der Koordination. Wir müssen in der Stadt die Zusammenarbeit der Ämter verbessern, das ist ein zentraler Punkt.
Kuhn Viele Kitas haben nun nur noch acht Stunden geöffnet. Eine ganztägig arbeitende alleinerziehende Mutter braucht aber einen Korridor von neun, vielleicht zehn Stunden. Die Ursache für die Verschlechterung liegt in den politischen Rahmenbedingungen: Bisher konnten die freien Träger mehr Flexibilität anbieten. Aber neue Regelungen des Landes und ihre Umsetzung in die neuen Kindergartenrichtlinien haben das hinfällig gemacht. Ich würde diese Richtlinien als Oberbürgermeister sofort überprüfen lassen und handeln.
Turner Ein neuer Kitaplatz kostet 2000 Euro pro Monat und Kind. Wir müssen die Situation rasch verbessern. Wenn wir die Einnahmen der Tagesmütter deutlich steigern würden, dann sparen wir dennoch etwas ein, weil ein Kitaplatz noch teurer wäre. In Frankreich können die Tagesmütter davon leben, weil das ein ordentlich bezahlter Beruf ist, bei uns ist das noch ganz anders. Das meine ich mit dem Bürgerblick: zu schauen, wie die Menschen wirklich ticken und fühlen, und dann mit diesem Blickwinkel neue Lösungen herbeiführen.
Kuhn Als OB stünde bei mir die Schaffung neuer Kitaplätze ganz oben auf der Prioritätenliste. Wenn wir das nicht erreichen, werden die betroffenen Bürger übrigens gegen die Stadt klagen – und diese Klage würden sie gewinnen. Wir müssen ernsthaft darüber diskutieren, ob Stuttgart eine Hauptstadtzulage braucht, die es in München beispielsweise schon gibt. Dem Thema werde ich mich widmen.

Der Ausbau der Kinderbetreuung ist für Sie beide ein wichtiges Thema. Es zeigt aber auch, dass es keine einfachen Lösungen gibt – die Finanzierbarkeit und der politische Weg sind kompliziert. Hat es ein Politikneuling da nicht schwer, Herr Turner?
Turner Es fehlt im Rathaus nicht an Verwaltungsexperten und Politikprofis. Deswegen ist es doch gerade richtig, dass an der Spitze des Rathauses jemand steht, der über Lösungen kommt, über Lebensnähe und die Erfahrung in der Wirtschaft. Das gibt eine gute Mischung.
Kuhn Wenn man eine Mehrheit im Gemeinderat herbeiführen muss, ist das eine kernpolitische Aufgabe. Es ist gut, wenn man da vom Fach ist, weil das eine komplizierte Angelegenheit ist.
Turner Von welchem Fach sind Sie noch mal?
Kuhn Vom Fach. Ich besitze politische Erfahrungen, wie man Ziele, die man hat, auch umsetzen kann und Mehrheiten organisiert. In der Region müssen Sie mit den anderen Bürgermeistern eine Verständigung erzielen, das ist eine hochpolitische Angelegenheit. Das wollte ich nur mal zu dem Rollenbild eines Oberbürgermeisters, über das wir ja gerade reden, hinzufügen. Herr Turner, Ihre Vorstellung, nur weil Sie noch nicht in der Politik waren, hätten Sie einen anderen Blick auf diese – die halte ich für nicht angemessen. Es könnte sogar so sein, dass Sie Probleme eben deshalb nicht lösen können, weil Sie nicht vom Fach sind.
Turner Dazu möchte ich Ihnen gerne etwas in Erinnerung rufen: „Nicht vom Fach“ ist Stuttgart 50 Jahre lang regiert worden – und zwar von Arnulf Klett und Manfred Rommel. Beide hatten das vermeintlich zwingend notwendige Knowhow, von dem Sie sprechen, nicht. Nicht vom Fach sind auch Richard von Weizsäcker und Kurt Biedenkopf. So viel zu diesem Thema. Sie, Herr Kuhn, sagen, Sie seien ein erfahrener Wirtschaftspolitiker. Das wäre so, als wenn man sagt: „Ich bin im Sportausschuss der Stadt und gehöre deshalb zum Olympiakader.“
Kuhn Ich bin seit Jahren ein erfahrener Wirtschaftspolitiker, der weiß, worauf es ankommt. Ich glaube, dass Stuttgart eine gute Chance hat, zu einem Eldorado für Umwelttechnik und die ökologische Modernisierung zu werden. Wenn Stuttgart eine Industriestadt bleiben will, muss es die ökologische Modernisierung bringen. Ich will als OB einen Beitrag leisten, dass wir die Umwelttechnologien vorantreiben. Daher habe ich in der Stadt viele Gespräche mit den Vorstandsvorsitzenden und Chefs größerer Unternehmen und kleinerer Betriebe geführt.