Obstbauern und Winzer befürchten den größten Frostschaden in Baden-Württemberg seit 26 Jahren. In der Nacht auf Donnerstag fiel die Temperatur auf bis zu sieben Grad unter null, für die Nacht auf Freitag rechneten Experten mit ähnlichem Frost – mit schwerwiegenden Folgen für die Pflanzenwelt.

Weinsberg - Es könnte der größte Frostschaden in Baden-Württemberg seit 26 Jahren werden: Bereits in der Nacht auf Donnerstag sind die Temperaturen im Land auf bis zu sieben Grad unter null gefallen, für die Nacht auf Freitag rechneten Experten mit ähnlichem Frost. Derartig kalt war es zuletzt im Frühjahr 1991.

 

Wer ist besonders betroffen? Vor allem Obst- und Weinbauern bangen um ihre Ernte. Insbesondere den Winzern im Norden Badens bereite der Frost Probleme, berichtet Peter Wohlfarth, der Geschäftsführer des Badischen Weinbauverbandes. Allerdings seien in der ganzen Region Schäden zu erwarten: „Besonders schlimm ist es, weil wir wegen der warmen Temperaturen der vergangenen Wochen einen Vegetationsvorsprung von 14 Tagen haben.“ Geöffneten Knospen mache Kälte mehr aus als geschlossenen. „Es sieht nicht gut aus“, sagt auch der Präsident des Württembergischen Weinbauverbands (WVW), Hermann Hohl. Im Gegensatz zu punktuellen Schäden, die im vergangenen Jahr aufgetreten seien, sei in diesem Jahr ganz Württemberg vom späten Frost betroffen. Auch aus Rheinhessen, der Pfalz und Weinbaulagen an der Mosel würden Frostschäden gemeldet. Mit flächendeckenden Ernteausfällen rechnet auch Kathrin Walter, die Geschäftsführerin des Landesverbandes Erwerbsobstbau Baden-Württemberg (LVEO). Besonders schlimm könnte es Kirschen, frühe Apfelsorten und Erdbeeren treffen. Auch in Österreich und Südtirol habe der Frost gewütet, lediglich am Bodensee könnten die Schäden demnach niedriger ausfallen.

Wie groß ist der Schaden? Die Verbände rechnen mit höheren Verlusten als 2011. Damals führten späte Fröste zu Schäden in Höhe von 25 Millionen Euro – 15 Millionen davon im Weinbau, zehn Millionen im Obstbau. „Die Lage ist dramatisch“, sagt Kathrin Walter vom LVEO. Die konkrete Höhe des Schadens lasse sich aber derzeit noch nicht abschätzen. „Das wird sich erst in den kommenden Wochen zeigen, wenn wir sehen, aus welchen Blüten sich Früchte entwickeln und aus welchen nicht.“ Laut dem Weinbauexperten Hermann Hohl beläuft sich der Schaden pro Hektar auf bis zu 12 000 Euro. Er geht davon aus, dass mehr als 60 Prozent der Ernte ausfallen. Erste konkrete Zahlen soll es am Montag geben: Das Landwirtschaftsministerium arbeitet gerade an einer Bestandsaufnahme.

Wie schützt man die Pflanzen? Um ihre Ernte zu retten, greifen Wein- und Obstbauern zu ungewöhnlichen Mitteln. So wurden beispielsweise am Kaiserstuhl große Paraffinkerzen in den Weinbergen aufgestellt, Obstblüten wurden absichtlich vereist, und über den Regionen Weinsberger Tal, Kocher- und Taubertal und am Leonsteinsfeld kreisten Helikopter, welche warme Luft aus höheren Schichten nach unten wirbeln sollten. Letzteres war ein Test, den das Agrarministerium unterstützte. „Wir können so die Temperatur um bis zu vier Grad erhöhen“, sagte Agrarminister Peter Hauk in Obersulm. „Das funktioniert aber nur, wenn es noch warme Luft zum Umwälzen gibt“, erläutert der WVW-Präsident Hohl. Ob diese mit Kosten von etwa 300 Euro pro Nacht und Hektar sehr wirtschaftliche Methode auch bei konstanten sieben Grad minus den gewünschten Erfolg bringe, sei fraglich. „Da hilft nur noch heizen.“ Eine Warmluftanlage im Weinberg hätten allerdings die wenigsten, und die großen Spezialkerzen seien teuer, sagt Wohlfarth vom Badischen Weinbauverband. Für zwei Nächte kosten die Kerzen je Hektar etwa 2500 Euro.

Einige Winzer halfen sich deshalb mit Feuern aus Stroh. „Der Rauch, der durch den Weinberg zieht, schützt die jungen Triebe vor der Morgensonne“, erläutert Hermann Hohl. Wenn gefrorene Knospen zu schnell auftauen, platzen sie nämlich auf. Anderswo beregnete man Reben und Obstbäume. Denn auch, wenn es paradox klingt: Durch die Eisschicht, die sich bildet, werden die Knospen vor Kälte geschützt. Wieso schadet Kälte den Pflanzen? „Bei Frost bilden sich Eiskristalle im Gewebe“, erläutert Manfred Küppers, der Leiter des Fachgebiets Allgemeine Botanik an der Universität Hohenheim. Die Eiskristalle zerstörten die Zellmembran, es bildeten sich die bekannten braunen Frostflecken. „Frühjahrsblüher sind auf späte Fröste eingestellt“, sagt Küppers. Sie lagerten beispielsweise Zucker in den Zellen ein, der einen ähnlichen Effekt habe wie Streusalz: Er senke den Gefrierpunkt. Die ursprünglich aus Kleinasien stammende Weinpflanze allerdings erreiche hier in Europa ihre absolute Kältegrenze, weshalb sie sehr frostanfällig sei. Doch was für Winzer und Obstbauern ein Desaster sei, könne für deren Pflanzen auf längere Sicht erholsam sein. „Wenn ein Baum zu viele Früchte tragen muss, ist das für ihn regelrecht Stress.“ Wie sind die weiteren Aussichten? Die kältesten Nächte des Frühjahrs liegen laut Marco Puckert vom Deutschen Wetterdienst in Stuttgart nun hinter uns. Außer in den Höhenlagen des Allgäus und der Schwäbischen Alb sei kaum mehr mit Frost zu rechnen. Bis zu den sogenannten Eisheiligen im Mai könne es zwar noch vereinzelt Bodenfröste geben, aber das sei nicht ungewöhnlich für diese Jahreszeit.