Wetterexperten sprechen von einem Jahrhundertereignis: Der Frost hat zum Teil bis zu 90 Prozent der Ernte zerstört. Lesen Sie hier, was das für Stuttgart bedeutet und was die Landesregierung plant.

Stuttgart - Andreas Siegele hat in seiner Arbeit als Experte schon viel erlebt und gesehen. Seit 30 Jahren hat der Mann Erfahrung mit allem was mit Obst zu tun hat, seit 15 Jahren ist er Obstbauberater der Stadt Stuttgart. Aber einen derartigen Schaden, wie ihn der Wintereinbruch vor allem in der Nacht vom 19. auf den 20. April an den Obstblüten in der Region angerichtet hat, den hat er noch nie gesehen. „1991 war auch schlimm“ sagt er, „aber dieser Frostverlust ist schon einmalig.“

 

Konkret bedeutet das für Stuttgart: Auf den etwa 200 Hektar Obst- und Beerenanlagen muss man mit bis zu 90 Prozent Ernteausfall rechnen. Stark gelitten haben Äpfel, Siegele erwartet bis zu 90 Prozent weniger Ertrag für dieses Jahr. „Wir können erst jetzt, nachdem es geregnet hat und warm geworden ist sehen, wie groß der Schaden in etwa sein wird“, sagt er. Und der ist sehr groß: Bei der Kirsche drohen bis zu 90 Prozent Ausfall, eine ähnliche Dimension gibt es bei Nüssen, 80 Prozent weniger werden es bei den Zwetschgen sein. Auch bei Erdbeeren liegen die Schäden bei bis zu 75 Prozent, aber die können sich noch regenerieren, weil sie über eine längere Periode blühen. „Ich schätze, dass allein in der Stadt Stuttgart der Schaden beim Obst etwa drei Millionen Euro betragen wird“, bilanziert Siegele. Spannend wird für den Obstbauberater der Juni. In dem Monat entscheidet sich, ob die geschädigten Bäume noch mehr junges, unreifes Obst verlieren. Die Pflanzen ernähren nur Früchte, die viele Samen enthalten, die anderen werfen sie ab. Und wenn Siegele jetzt junge Birnen durchschneidet „ist oft überhaupt kein Samen enthalten“, sagt er. Es kann also noch zum totalen Ernteausfall kommen.

Der gespannte Blick auf den Juni

Nur wenig besser sieht es beim Wein in Stuttgart aus, auch an den Trieben sind durch den späten Wintereinbruch schwere Schäden entstanden. „Wenn es schlecht läuft, haben wir einen Verlust von 50 Prozent“, sagt Rainer Bubeck vom Collegium Wirtemberg. Auch der Rebschutzwart kann sich nicht erinnern, dass es jemals durch späten Frost solche Schäden gegeben hätte. „Selbst 80-jährige Stuttgarter Wengerter haben so was noch nicht erlebt“, sagt er. Dabei fallen die Schäden in den etwa 400 Hektar Rebflächen in der Stadt höchst unterschiedlich aus. Bei Frost von bis zu minus fünf Grad knapp über dem Boden und minus zwei Grad in zwei Metern Höhe sind die Verluste verschieden verteilt. „Traditionelle Frostlagen sind dieses Mal weniger betroffen, als eher sichere Regionen“, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende des Collegiums. Und auch die Rebsorten hätten unterschiedlich auf die Kälte reagiert. Für Trollinger und Riesling sind die Erwartungen an den Jahrgang 2017 sehr gedämpft. Besser haben Lemberger und Weißburgunder den Eisschock überstanden. Für eine Bilanz sei es aber noch zu früh, man müsse den Juni abwarten, beobachten, was sich aus den Nebenaugen entwickelt, erklärt Bubeck. Fatal sei gewesen, dass die Triebe durch den milden März ihrer Zeit schon weit voraus waren, als die Kälte kam. Ähnliche Schäden gibt es auch in den Weingütern der Stadt Stuttgart. Andreas Siegele rechnet mit bis zu 40 Prozent weniger Wein. Besonders hart getroffen hat es den Shiraz am Hasenberg hinunter nach Heslach – 80 Prozent der Augen sind erfroren.

Landesregierung spricht von Naturkatastrophe

Die Landesregierung hat den Wintereinbruch im April mittlerweile als Naturkatastrophe eingeordnet, Wetterexperten sprechen von einem Jahrhundertereignis. Und auch auf kommunaler Ebene macht man sich Gedanken, ob man den Geschädigten helfen kann und wie. Die Gemeinderatsfraktion der CDU hat eine Anfrage an die Verwaltung gestellt, nach der geprüft werden soll, ob steuerliche Spielräume zur Entlastung möglich sind. Insbesondere erwartet die CDU eine Antwort auf die Frage, ob es rechtlich möglich ist, stark betroffenen Betrieben die Grundsteuer für 2017 zu erlassen. Mehr heimisches Obst wird es dadurch aber nicht geben.

Wie bei allen außergewöhnlichen Wetterereignissen kommt auch bei diesem Frosteinbruch die Frage auf, ob das ein Indiz für den Klimawandel ist. Für Experten ist das schwer zu beantworten. Generell nehmen seit Jahren als Folge der Erderwärmung extreme Wetterereignisse zu. Dieser Kälteeinbruch war vor allem deshalb so fatal, weil die Vegetation durch die frühe Wärme im März schon sehr weit war und das ist in der Tat ein Indiz für den Klimawandel. Eines ist sicher – ein weiteres Extremereignis, wie zum Beispiel Hagel, würde die Ernte 2017 wohl gegen Null gehen lassen.