Mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg steht in Detmold ein früherer Wachmann aus dem KZ Auschwitz vor Gericht. Viele Opfer haben diesem Tag entgegengefiebert. Einer berichtete den Richtern eindringlich vom Leid der Menschen.

Detmold - In einem der letzten großen NS-Prozesse steht seit Donnerstag in Detmold ein früherer SS-Wachmann aus dem Konzentrationslager Auschwitz vor Gericht. Der 94-jährige Reinhold Hanning muss sich wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 170 000 Fällen verantworten. Am ersten Verhandlungstag machte er keine Angaben zu den Vorwürfen. Neben Dutzenden Journalisten aus dem In- und Ausland verfolgten auch frühere KZ-Insassen den Prozessauftakt.

 

Hanning war in den Jahren 1943 und 1944 als Angehöriger des SS-Totenkopf-Sturmbanns Auschwitz im Stammlager eingesetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beihilfe bei der sogenannten „Ungarn-Aktion“ vor - der gut dokumentierten Deportation und Ermordung von Juden aus Ungarn 1944. Er habe die Tötungsmethoden im KZ gekannt und mit seinem Einsatz als Wachmann zum Funktionieren der Maschinerie beigetragen.

Der Angeklagte schwieg zum Prozessauftakt

Hanning schwieg zum Prozessauftakt und ließ von seinen Anwälten nur Angaben zu seiner Person verlesen. Er hatte bereits vor dem Prozess eingeräumt, in Auschwitz eingesetzt gewesen zu sein. Eine Beteiligung an Tötungshandlungen hat er aber bestritten. Die Verteidigung zweifelt den Wert dieser Aussage allerdings an. Staatsanwaltschaft und Polizei hätten ihn 2014 zu Hause überrascht und dann vernommen.

Ein Zeuge schilderte vor Gericht das unmenschliche Leid in Auschwitz. Wachleute hätten durch den Zaun geschossen. Gerade angekommene Gefangene hätten auf dem Weg zu den Gaskammern um Wasser gebettelt, ohne zu wissen, was passiere. „Eine halbe Stunde später waren sie tot“, sagte der Auschwitz-Überlebende Leon Schwarzbaum im Zeugenstand. Der 94-Jährige forderte Hanning in direkter Ansprache auf, zu sagen, was damals passiert sei. Hanning reagierte darauf nicht.

Zunächst sind zwölf Prozesstage bis Ende Mai vorgesehen

Laut Anklage wurden mehr als drei Viertel der in Zügen angekommenen Menschen direkt zu den Gaskammern getrieben. Hunderte seien später erschossen worden.

Im vergangenen Jahr war bereits ein anderer Wachmann am Landgericht Lüneburg in Niedersachsen wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300 000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil gegen den Mann, der als „Buchhalter von Auschwitz“ bezeichnet wurde, ist noch nicht rechtskräftig. Inzwischen stehen weitere Verfahren gegen frühere SS-Angehörige an, die in Auschwitz im Einsatz waren - etwa in Kiel, Neubrandenburg und Hanau.

In Detmold sind zunächst zwölf Prozesstage bis Ende Mai vorgesehen. Wegen des Gesundheitszustands des 94-jährigen Angeklagten darf das Gericht jeden Tag nur zwei Stunden lang verhandeln.