Der Künstler Pablo Wendel, der einst als falscher Terrakottakrieger in China Aufsehen erregt hat, ist mit Stuttgart (fast) im Reinen. Er produziert jetzt Strom aus Skulpturen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Bei Cappuccino und Honigbrötchen plaudert es sich locker und gemütlich. In unserer Serie „Frühstück mit . . .“ bitten wir in loser Folge Zeitgenossen aus dem Stuttgarter Kulturleben in einem Café ihrer Wahl zum Gespräch über Themen und Projekte, die sie gerade beschäftigen. Und natürlich über ihre Frühstücksgewohnheiten: Tee oder Kaffee, Müsli oder Croissant? Ohne ein ordentliches Frühstück geht bei Pablo Wendel nichts. Das hat er während seiner Steinmetzlehre gelernt: Wer arbeiten will, braucht Energie. Deshalb beginnt der Stuttgarter Künstler seinen Tag mit einer soliden Grundlage: Honigbrot. Nicht in irgendeinem Café, sondern am liebsten zu Hause oder – wie in diesem Fall – in seinem Atelier in den Wagenhallen.

 

Energie ist wichtig, vor allem für Pablo Wendel. Er ist jener Künstler, der es sogar in die ARD-Tagesthemen schaffte und eine Weile richtig berühmt war. Nach dem Studium an der Stuttgarter Kunstakademie führte ihn ein Stipendium nach China, wo er das tun wollte, was man eigentlich von den Chinesen kennt: fremdes Kulturgut kopieren. Pablo Wendel machte eine besondere Kunstaktion und mogelte sich unter die Soldaten der weltberühmten Terrakotta-Armee. Natürlich wurde er verhaftet, aber es war auch ein toller Coup, der ihm Aufmerksamkeit im internationalen Kunstbetrieb verschaffte.

Die Krise nach dem Studium

Dann kam die Krise – eine Krise, die vielen Künstlern widerfährt, wenn sie die Akademie abgeschlossen haben und die Stipendien weniger werden. Pablo Wendel hatte zwar noch ein Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg, aber er fragte sich, wie man als Künstler existieren soll, wenn man wie er Performances macht, also Kunst, „die keinen Bestand hat und frei ist vom Markt“. Zum Beispiel bearbeitete er einmal über Wochen einen riesigen Granitstein, um die alte Bildhauerthese zu überprüfen, ob die Figur tatsächlich im Stein steckt und nur freigelegt werden muss. Pablo Wendel hämmerte und hämmerte – bis nur noch Kiesel übrig blieben und eine Videodokumentation. „Das war eine tolle Geschichte, aber der Stein war weg“, sagt Pablo Wendel.

Inzwischen leitet er ein Unternehmen: Performance Electrics. In den Wagenhallen befindet sich die Produktionsstätte. Eigenwillige Objekte stehen herum: ein Gerät mit ein paar Dutzend Bügeleisen, mit dem man Solarzellen herstellen kann. Eine Mülltonne mit Stromkabel. Skulpturen aus Sonnenkollektoren. Denn Wendel hatte eine „zündende Idee“, wie er es selbst nennt. Er produziert Strom – nicht aus natürlichen Ressourcen, sondern aus Kunst. „Der Gedanke hat mich nicht mehr losgelassen“, erzählt er. So liefern zum Beispiel Skulpturen Strom, der ins Netz eingespeist wird. Das ist einerseits ein solides Geschäftsmodell, aber auch als Langzeitperformance konzeptuell gedacht. Ist das Medium Strom dann Kunst? Wird das Stromnetz zur Großskulptur?

Immer wieder trifft Pablo Wendel auf Zeitgenossen, die mit diesen Fragen wenig anfangen können. Aber inzwischen ist er überzeugt, dass er als Künstler mit seinen Ideen trotzdem genau hier richtig ist – nicht nur in Stuttgart, „sondern die Region ist für mich zur Stadt geworden“, sagt er. Er arbeitet mit Unternehmen, Wissenschaftlern und anderen Künstlern zusammen und schätzt die hohe Kompetenz in Baden-Württemberg. „Hier ist ein unglaubliches Knowhow und eine große Bereitschaft der Unternehmen, uns zu unterstützen.“

Die Bilanz ist positiv

Vor ein paar Jahren klang Wendel noch nicht so positiv. Auch heute hat er noch einiges auszusetzen an Stuttgart. „Vor allem städtebaulich steht es nicht zum Guten“, meint er. Aber inzwischen weiß er, dass es einfacher ist, zu meckern, als sich selbst zu engagieren. „Ich versuche nicht mehr so radikal, Dinge nur aufzuzeigen, sondern Lösungen zu bieten.“ Performance Electrics sei „ein Lösungsansatz“. Denn auch wenn er im Vergleich mit den großen Konzernen nur wenig Strom produziert, so dafür mit minimalem Ressourcenaufwand. „Am Ende hat man eine unglaublich gute Bilanz“ – und ein Beispiel, wie sich in der Gesellschaft eben doch etwas bewegen lasse.

So hat Pablo Wendel seinen Frieden mit Stuttgart gemacht. „Ich halte es hier gut aus, weil ich viel unterwegs bin“, sagt er, „alles, was ich hier nicht kriege, und das ist viel, hole ich mir woanders.“ Was ihm fehlt: Großstadt einerseits, aber auch die Natur. Denn eigentlich ist Wendel ein echter Naturbursche. Er ist auf der Schwäbischen Alb südlich von Balingen aufgewachsen, die Eltern seien Spätaussteiger gewesen und hätten auch ein wenig Landwirtschaft betrieben. Wenn ihn die Sehnsucht mal wieder überkommt, steigt Pablo Wendel aufs Rad und fährt hinaus in die Welt. Auch das spricht für Stuttgart: „In zehn Minuten ist man schon im Grünen.“