Vincent Klink, Chef de Cuisine der „Wielandshöhe“, ist zum Blick über den Suppenteller hinaus prädestiniert. Als Autor und Musiker erkundet er die Welt. Ende September erscheint sein neues Buch. Aber was frühstückt eigentlich ein Sternekoch?

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Bei Cappuccino und Honigbrötchen plaudert es sich locker und gemütlich. In unserer Serie „Frühstück mit . . .“ bitten wir in loser Folge Zeitgenossen aus dem Stuttgarter Kulturleben in einem Café ihrer Wahl zum Gespräch über Themen und Projekte, die sie gerade beschäftigen. Und natürlich über ihre Frühstücksgewohnheiten: Tee oder Kaffee, Müsli oder Croissant?

 

Es ist neun Uhr an einem der schönen Tage dieses Sommers, die den Stuttgarter Westen in einem Licht leuchten lassen, als hießen die Straßen nicht Silberburg oder Johannes, sondern Saint Germain oder Saint Benoît, und die Cafés nicht Stöckle, sondern Flore oder Magot. Dass einem hier plötzlich manches Pariserisch vorkommt, liegt vielleicht aber nur daran, dass man an diesem Morgen im Café Stöckle mit einem berühmten Sternekoch zum Frühstück verabredet ist. Da geraten die Gedanken in überschwängliche Bewegung: Mit welchem urbanen Festmahl wird man in Kürze wohl diesen Tag beginnen? Adieu ihr grauen Haferflocken, fahrt dahin Marmeladenbrote, freudloses Joghurtgeläpper.

In hungriger Vorfreude schweift der Blick die Straße vor dem zu dieser Stunde noch ziemlich spärlich besuchten Café entlang. Da nähert sich auf einem seltsamen Gefährt eine Silhouette, die sehr gut zu einem lebenslustigen Koch passen könnte. So ist es. Vincent Klink rollt heran: Chef de Cuisine der „Wielandshöhe“, Autor die Grenzen des Herdes weit überschreitender Bücher, Musiker – und Besitzer eines Elektrofahrrads, mit dem er kürzlich etwa 1400 Kilometer in den Straßen der französischen Hauptstadt zurückgelegt hat. Ein Buch ist daraus entstanden, das der eher rollenden Fortbewegungsweise zum Trotz den Titel trägt „Ein Bauch spaziert durch Paris“.

Die Vorzüge seniler Bettflucht

Klink kommt gerade recht für die Bestellung. „Ein ganz normaler Kaffee.“ Schluck. Das war‘s? „Ich frühstücke gar nichts: ich bin Handwerker, der Handwerker vespert, der frühstückt nicht.“ Adieu ihr Nusshörnchen, ihr knusprigen Croissants, fahrt dahin saftige Omelettes – „einen ganz normalen Kaffee, bitte“. Aber wann vespert der Handwerker Klink? Erst zu einer Zeit, wenn der Kopfwerker Klink schon einige Stunden hinter sich gebracht hat. Er genieße die Vorzüge der senilen Bettflucht. Diese beginnt schon um fünf Uhr. „Morgens erledige ich das, von dem sich jeder fragt, ,wann macht der das eigentlich‘“. Und das ist einiges. Zum Beispiel Bücher schreiben, in denen es zwar auch um Essen geht, aber eben auch um das, was Kunst und Handwerk miteinander verbindet oder eine Soupe à l’oignon parisienne mit Paul Cézannes „Stillleben mit Zwiebeln“.

Bleiben wir angesichts des frugalen Frühstücks ruhig noch eine Weile beim Essen. Wenn Klink von seiner Küche erzählt, klingt das ein wenig wie in dem Kindervers „Morgens früh um sechs, kommt die kleine Hex“, auch wenn der Tag seiner Küchengeister etwas später beginnt: Da wird angefeuert, Brot gebacken, „Würschtle“ werden gestopft, Kartoffeln geschält und Karotten gekocht. Und mitten drin der „Häuptling Eigener Herd“, nach dem Titel einer von Klink zusammen mit dem Satiriker Wiglaf Droste herausgegebenen kulinarischen Kampfschrift. Dann wird „rumprobiert“. Ob die Karotten richtig gegart sind: „Weich gilt nicht mehr als zeitgemäß, deshalb tendieren die jungen Köche heute zu steinhartem Zeugs, genau dazwischen liegt die richtige Art, Gemüse zu kochen.“

Große Welt mit Mördergesichtern

Das will überwacht werden: Hier ein Häppchen, dort ein Löffelchen, kein Wunder drängt es ihn nicht zum Frühstück: „Man muss zum Kochen a bissle hungrig sein, sonst macht’s keinen Spaß“, sagt Klink mit einem Zungenschlag, auf den der Ausdruck „Sterne-Schwäbisch“ gut passen würde, weil sich darin wie in den Rezepturen der „Wielandshöhe“ darin Bodenständiges mit feinster Ausdruckskraft mischt.

Gegen die noch kühle Morgenluft trägt Klink einen ziemlich verbobbelten Kaschmirschal zum T-Shirt. Der „Kruscht bleibt bei mir, das Schöne nimmt sich die Tochter.“ Nach der Lektüre seines Buches hätte man es auch für möglich gehalten, dass er in einer Dominikanerkutte erscheint. Nach dem Vorbild des Romanciers Balzac, der in einem solchen Aufzug zu schreiben pflegte, hat er sich ein entsprechendes Stück zugelegt. Allerdings nur für den Hausgebrauch. „Die mitteleuropäische Kleidung ist nicht artgerecht: so ein Gürtel um den Bauch rum, das kann nicht gesund sein“. Was sich von Bauch zu Bauch natürlich unterschiedlich auswirkt.

Der Welt, die sich in Zonen der gehobenen Lebensart tummelt, begegnet Klink in etwa mit derselben Unbestechlichkeit, mit der er nur gut aussehende Kartoffeln von wirklich schmackhaften zu unterscheiden weiß. Neulich habe er Jemandem die Schönen und Reichen in der Bar eines feinen Hotels zeigen wollen, und habe nur in neureiche Mördergesichter geblickt. Andererseits beschreibt er in seinem Buch glaubhaft, wie sich eine kurze Nacht in der Pariser Nobel-Herberge „Le Bristol“ (auf Sterne-Schwäbisch: „Le Brischtl“) für immer ins Gehirn einbrennt. „Ich war vermutlich der erste Gast, der dort mit dem Fahrrad vorgefahren ist, die haben aber nicht mit der Wimper gezuckt, sondern das entgegen genommen, als wäre es ein Bentley.“

Abstraktionen der Küche

Es gilt die Liebe zum Wahren, Schönen und Wohlschmeckenden gegen elitären Snobismus zu verteidigen. Das Leben – zumal das der Kultur – ist auf Spinner angewiesen. „Ich würde mich freuen, wenn ein Gast mal so richtig besoffen wäre, dass er unter den Tisch hagelt.“ Früher, als er sein Geschäft zu Zeiten des Wirtschaftswunders angefangen hat, seien häufig Verträge unter dem Tisch unterschrieben worden. Etwas in Widerspruch zu dem nonkonformistischen Gedankenspiel steht freilich der Satz: „So wichtig wie das auf dem Teller, ist das auf dem Stuhl.“ Alles, was er gelernt habe, hätten ihm letztlich seine Gäste beigebracht.

Und dann bestellt er sich doch noch eine Schneckennudel („meine Leibspeise“) und einen Cappuccino.

Eigentlich wäre er gerne Pariser Bohemien geworden, stattdessen wurde er in eine Metzgerlehre geschickt. Über sein Handwerk kann er sprechen wie ein Maler über das seine. Auch in der Küche gibt es die Kunst des Weglassens. Mittlerweile könne man auch in Deutschland Lebensmittel von bester Qualität kaufen, Bresse-Hühner von der Bergstraße beispielsweise: „Die haben einen so guten Geschmack, dass ich es nicht über das Herz bringe, da Curry ranzuschmeißen.“ Dabei hat er selbst einmal üppig angefangen, die Entwicklung vom Barock zur Abstraktion gewissermaßen selbst durchlaufen: „Mit 28 Jahren hatte ich schon einen Mercedes 280 E, tiefer gelegt und mit breiten Reifen, dafür schäme ich mich jetzt.“

Alles muss sich rechnen

Was auch immer das aufs Kulinarische übertragen heißt, heute ist Klink mit dem E-Bike unterwegs. Auch wegen des Stillstands auf Stuttgarts Straßen. Paris ist schön, doch besser stirbt es sich in Stuttgart – mit diesem leicht moribunden Bekenntnis endet sein Buch. Er liebt die Stadt, und hadert trotzdem: Dass der Bau des neuen Bahnhofs gerade in seine Lebenszeit fällt, dass die Stadtbibliothek mit Sparkassengebäuden zugedengelt wird, und dass sich hier immer alles rechnen muss: „Diese Philosophie nehme ich den Schwaben wirklich übel.“

Doch ein Biss in die gute Schneckennudel besänftigt ihn wieder. Alles fließt, es kommen auch wieder andere Zeiten. Gerade beschäftigt er sich mit Heraklit und dem französischen Résistance-Dichter René Char. Auf diesen ist bei einer Motorradfahrt durch Südfrankreich gestoßen. Aber das ist eine andere Geschichte. Die Küche ruft.