Der Trainer ist weg, die Mannschaft Letzter, die Führung ratlos: der VfB taumelt dem Abgrund entgegen. So katastrophal war die Lage seit Jahrzehnten nicht.

Stuttgart - Noch steht ein Bagger am Wegesrand. Daneben türmt sich der Bauschutt, ein Maler erledigt letzte Streicharbeiten. Schon bald aber wird hier alles besenrein sein – und dann leuchtet nur noch das dunkle Rot an der Außenfassade des neuen Nachwuchsleistungszentrums an der Mercedesstraße in Bad Cannstatt. Am Mittwoch wird es feierlich eröffnet, das zehn Millionen Euro teure Vorzeigeobjekt des VfB Stuttgart, in dem neues Profipersonal ausgebildet und die Zukunft des Vereins gestaltet werden soll.

 

Das Problem ist nur: die Gegenwart. Sie ist so düster wie seit Jahrzehnten nicht. Wenn am Mittwoch die eine Baustelle geschlossen wird, dann bleiben andere, viel größere offen – und niemand scheint so genau zu wissen, wo man als erstes anpacken könnte. Der VfB, der einstmals stolze Traditionsclub von 1893 und Vierter in der ewigen Bundesligatabelle, sitzt auf einem Scherbenhaufen – und man fragt sich: wie tief kann ein Verein noch sinken?

Zweihundert Meter neben dem Clubgelände, im Bauch der Mercedes-Benz-Arena, hat an diesem Montagmittag die Vereinsführung Platz genommen und versucht, zumindest ein paar Scherben zusammenzukehren. Wieder einmal. Sie hat das, in wechselnder Besetzung, in den vergangenen Monaten und Jahren oft getan, wenn ein Trainer oder Manager mangels Erfolg gefeuert und der Neuanfang ausgerufen wurde. Genau zwei Monate ist es erst her, dass an dieser Stelle die Trennung von dem Sportvorstand Fredi Bobic verkündet wurde.

Veh hat die Hoffnung auf bessere Zeiten verkörpert

Diesmal verabschiedet sich Armin Veh. Seine Mannschaft ist Tabellenletzter, nach zwölf Spielen hat sie erst neun Punkte gesammelt. Veh muss ausnahmsweise nicht entlassen werden. Er hat, aufgrund „des fehlenden Quäntchen Glücks“, wie er sagt, in der Nacht nach der 0:1-Heimniederlage gegen Augsburg selbst das Handtuch geworfen. Doch das macht es nicht entscheidend besser. Denn nun ist auch Veh weg, der Meistertrainer des Jahres 2007, der erst im Sommer nach Stuttgart zurückgekehrt ist und die Hoffnung auf bessere Zeiten verkörpert hat.

Neben Veh sitzt Bernd Wahler auf dem Podium und eröffnet die Runde auch diesmal mit einem herzhaften „Grüß Gott auch von meiner Seite“. Ansonsten aber ist nicht viel übrig geblieben von dem Frohsinn und dem unerschütterlichen Optimismus, die zu seinen wesentlichen Charaktereigenschaften gehören. Kein Wunder: seine Zeit als VfB-Präsident ist geprägt von einer fast beispiellosen Pleitenserie. Von einer „ganz schwierigen Situation“, spricht Wahler und davon, dass es „nicht einfach ist, die Zukunft zu gestalten, wenn man dauernd Krisenmanagement betreiben muss.“ Vier Trainer hat der VfB in seiner knapp 15-monatigen Amtszeit verschlissen. Und sollte nun Huub Stevens zurückkehren, der ewige Feuerwehrmann, wäre dies zwar einerseits die logische Folge, andererseits aber auch der nächste Verzweiflungsakt. Denn mit den ursprünglichen Zielen, mit der von Wahler einst propagierten Sturm-und-Drang-Philosophie des Vereins hat der niederländische Defensivspezialist so wenig gemein wie der VfB mit der Teilnahme am Europapokal.

Mit einem kräftigen „Wow!“ erklomm Bernd Wahler im Juli 2013 die Bühne, nachdem er auf der Mitgliederversammlung mit 97,4 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidenten gewählt worden war. Er trat mit dem Vorhaben an, den Verein neu auszurichten – und musste anschließend erleben, wie sein gewaltiger Vertrauensvorschuss in kürzester Zeit regelrecht zerbröselte.

Geht der Kampf diesmal verloren?

Es fehlt Bernd Wahler weder an Herzblut noch an Einsatzfreude. Ungerecht wäre es auch, den Präsidenten alleine für die nicht enden wollende Krise des VfB verantwortlich zu machen. „Wir zahlen jetzt den Preis dafür, wie in den letzten Jahren hier gearbeitet wurde“, sagt Wahler. Das stimmt. Doch wahr ist auch, dass es dem ehemaligen Adidas-Manager bisher nicht einmal im Ansatz gelungen ist, den Untergang des Stuttgarter Bundesligadampfers aufzuhalten – im Gegenteil.

Von Erfolg ist bislang fast keine seiner Maßnahmen gekrönt gewesen. Das neue VfB-Motto „Furchtlos und treu“: ein klassisches Eigentor. Die Entlassung von Fredi Bobic: in der Sache richtig, in der Art und Weise aber – am Tag des Auswärtsspiels in Dortmund – an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Die angekündigte Aufarbeitung der Vorsaison: ein Lippenbekenntnis. Die Rückholaktion von Armin Veh: ein Missverständnis. Zuletzt schaffte es der VfB unter Wahlers Führung sogar, die Stadt zu verprellen. Der Gemeinderat beklagte sich über angeblich fehlenden Dialog – und führte ausgerechnet die kleinen Stuttgarter Kickers als leuchtendes Vorbild an.

Es ist in Kombination mit den vielen Trainerwechseln eine Bilanz des Schreckens, die nicht besser wird, wenn man an Wahlers vollmundige Ankündigung erinnert, den VfB bei Zeiten zurück in die Champions League zu führen. Die Realität heißt knüppelharter Abstiegskampf, auch in seiner zweiten Saison als Vereinschef. Niemand würde sich mehr wundern, wenn der Kampf diesmal verloren geht. Es kann auf Dauer nicht funktionieren, wenn jegliche Kontinuität fehlt und die Hauptarbeit darin besteht, an allen Ecken und Enden Brände zu löschen.

Ausgliederung der Profi-Abteilung stößt auf Widerstand

Man mag sich derzeit gar nicht ausmalen, was aus Wahlers wichtigstem Projekt wird, der geplanten Ausgliederung der Profiabteilung aus dem Gesamtverein. Zur Schicksalsfrage hat sie der Remstäler erklärt, weil sie die leeren Kassen füllen und den Verein finanziell wieder konkurrenzfähig machen soll. Die ablehnenden Plakate im Stadion, die Tiraden in den Fanforen – sie wären nicht nötig, um zu ahnen, dass bis zum nächsten April ein Wunder geschehen müsste, um 75 Prozent der Mitglieder von dieser Idee zu zu überzeugen. Dann soll abgestimmt werden – oder auch nicht.

Vorerst will sich Wahler „ganz auf die Besetzung der Trainerposition fokussieren“, der Klassenverbleib habe „absolute Priorität“ – daher gelte es, „andere Dinge zu verschieben“. Nicht von der Ausgliederung spricht er in diesem Zusammenhang, sondern von seiner Suche nach einem neuen Manager. Offen ist auch nach zwei Monaten die Nachfolge von Fredi Bobic, dessen Aufgaben sich zuletzt Veh und der Sportdirektor Jochen Schneider geteilt haben. Nun ist nur noch Schneider übrig.

Immer lauter raunen sie auf der Geschäftsstelle über fehlende Führung und mangelnde Entscheidungsfreudigkeit. Ob er auch schon einmal darüber nachgedacht habe, es dem Trainer gleichzutun und den Bettel hinzuwerfen, wird Wahler im Presseraum des Stadions gefragt. „Nee“, antwortet er, „das muss ich klar sagen. Ich fühle mich sehr in der Verantwortung.“

Das ist bei Armin Veh nun anders. Er dankt dem Verein für das Vertrauen und hat in Zukunft frei. Alles Gute wünscht er dem VfB – und sieht die Trennung positiv: „Das ist doch kein Weltuntergang.“