Der Chefredakteur des „Spiegels“, Wolfgang Büchner, hat angekündigt, beim Umbau der Redaktion den Druck herauszunehmen. Wird ihm das etwas nützen? Dreht sich doch der wahre Streit um ihn.

Stuttgart - Anfang November feiert „Spiegel Online“ zwanzigsten Geburtstag. Die Einladungen zu dem Fest, bei dem die Band Fantastische Vier spielen wird, gingen vergangene Woche raus. Unterzeichnet haben die Karte „Chefredaktion und Geschäftsführung“. Namen sind keine genannt. Eine Vorsichtsmaßnahme? Es ist jedenfalls gut möglich, dass Anfang November Wolfgang Büchner nicht mehr Chefredakteur sein und in der Folge auch Geschäftsführer Ove Saffe das Haus verlassen wird. Doch wer Büchner folgen soll, weiß zum gegenwärtigen Zeitpunkt niemand. Der Grund ist schnell erläutert: Diejenigen, die es könnten, wollen nicht; denjenigen, die wollen, trauen die Gesellschafter nicht zu, dass sie es könnten.

 

Am vergangenen Freitagabend endete ein Treffen von „Spiegel“-Gesellschaftern mit der Vereinbarung, alles erst einmal weiterlaufen zu lassen. Offensichtlich geht es darum, Zeit zu gewinnen, um einen Nachfolger zu finden.

Umstritten war Büchner bereits vor seinem Antritt. Da versprach er, der „Spiegel“ werde unter ihm an Relevanz gewinnen. Kurz darauf wurde bekannt, dass er Nikolaus Blome von der „Bild“-Zeitung in die Chefredaktion holt. Nachdem Büchner im September 2013 auch offiziell angetreten war, stellte die Redaktion schnell fest, dass er den Erwartungen eines „Spiegel“-Chefredakteurs nicht entspricht. Sie erfuhr, dass Büchner vor allem gekommen sei, um das Nachrichtenmagazin mit seinen getrennten Redaktionen für Print und Online neu zu organisieren und die Digitalisierung der Marke voranzutreiben. Die Leser nutzen Medien heutzutage immer häufiger mobil, worunter sowohl das gedruckte Magazin als auch die stationäre Webseite leiden.

Büchners inhaltliche Einmischungen verstärkten den Eindruck der Redaktion, dass er weder ein politischer Kopf ist noch das Gespür für Titel und Themen hat und im gedruckten „Spiegel“ keine Zukunft sieht. Die gegenseitige Verachtung wuchs.

Zur Eskalation führte schließlich Büchners Plan, die Stellen aller Ressortleiter neu auszuschreiben. Künftig sollten sie für die bisher getrennten Redaktionen von Print und Online gleichermaßen zuständig sein. Diese, von ihm als „Spiegel 3.0“ überschriebene Strategie fasste die Printredaktion als Versuch auf, unliebsame Gegner loszuwerden. Büchner bestritt dies bei einem Treffen der Gesellschafter vor zwei Wochen und gelobte, alle Reformen im Einklang mit den Redaktionen von „Spiegel“ und „Spiegel Online“ voranzutreiben. Doch als die schnelle Umsetzung von „Spiegel 3.0“ zu scheitern drohte, händigte Büchner zwei Print-Ressortleitern, die als Widersacher gelten, Auflösungsverträge aus. Sie sollen das Haus verlassen.

Am Freitag nun präsentierten Saffe und Büchner zwei Vertretern des Minderheitsgesellschafters Gruner + Jahr und dem Vorsitzenden der Mitarbeiter KG eine abgespeckte Version von „Spiegel 3.0“. Jakob Augstein als Sprecher der Erbengemeinschaft blieb dem Treffen fern. Dem Vernehmen nach soll nun mit Blick auf die zeitliche Umsetzung von „Spiegel 3.0“ der Druck herausgenommen worden sein. Denn bei aller Unruhe müssen sich alle Mitarbeiter darauf vorbereiten, dass das Hamburger Magazin von Januar 2015 an samstags statt montags erscheint.

Tatsächlich aber geht es nur vordergründig um „Spiegel 3.0“. Der wahre Streit dreht sich um Büchner. Längst hat ihm die Redaktion die Zusammenarbeit aufgekündigt. Sie fürchtet, dass er dem publizistischen Ansehen der Institution „Spiegel“ schadet und sich dies langfristig auch wirtschaftlich auswirken könnte. Ihre Waffe: den Mitarbeitern gehört die Hälfte des Verlags. Auch G+J und Augstein würden sich für Büchners Absetzung aussprechen – wäre ein satisfaktionsfähiger Nachfolger in Sicht.