In der Lautenschlagerstraße in Stuttgart sind fossile Überreste entdeckt worden, darunter ein Mammut-Stoßzahn. Jetzt beginnt ein Puzzlespiel.

Stuttgart - In einer 15 Meter tiefen Baugrube entlang der Lautenschlagerstraße hat Thomas Rathgeber einen Zahn gefunden. Erde klebt daran, er streift sie mit dem Zeigefinger vorsichtig ab. „Hier sieht man deutlich die zwiebelschalenartigen Schichten des Zahns und auch dessen Krümmung“, erzählt er. Prüfend blickt Rathgeber auf das Fundstück, „das muss ein stattliches Exemplar gewesen sein, der Zahn war bestimmt zwei Meter lang“. Noch will sich der Präparator des Naturkundemuseums nicht festlegen, ob der gewaltige Stoßzahn einst einem Waldelefanten oder einem Mammut gehörte. Doch das Rätsel wird sich im Laufe des Tages lösen.

 

Rathgeber steht mit seinen Gummistiefeln mitten im Matsch, er blickt auf den Zahn, er sieht sich in der Baugrube um – und in seiner Vorstellung taucht er tief ein in die Frühgeschichte. Wie mag es hier vor mehr als 100.000 Jahren ausgesehen haben? Welche Tiere lebten hier, wie mag die Vegetation ausgesehen haben?

Mammuts, Nashörner und Wildpferde

Bei Arbeiten an der Zukunft der Stadt sind Bauarbeiter am Dienstag auf beeindruckende Funde aus der Vergangenheit gestoßen: Dort, wo sich heute Bagger durch das Erdreich wühlen und später einmal das Büro- und Geschäftshaus Bülow-Carré entstehen soll, legen Mitarbeiter des Naturkundemuseums Baden-Württemberg nun Überreste von Mammuts, Nashörnern und Wildpferden frei.

An die Stelle von großem technischem Gerät sind Spitzhacke, Kelle und Schaufel getreten – die Spurensuche in der Vergangenheit erfordert Handarbeit, viel Erfahrung und ein gutes Auge. Die Wissenschaftler knien im Erdreich, wühlen mit den Handschuhen im Lehm und haben schon nach wenigen Stunden Erfolge vorzuweisen. In durchsichtigen Plastiktüten verpacken sie Knochenreste, zwei Fundstücke sind bis jetzt besonders wertvoll: Dazu zählt der fast ein Meter lange Oberarmknochen eines Fellnashorns sowie ein Bruchstück seines Fersenbeins. Von anderen Fundstücken sind hingegen nur kleine Einzelteile erhalten geblieben.

Puzzlespiel und Geduldsprobe

In diesen Fällen stehen die Forscher nun vor einem Puzzlespiel und einer Geduldsprobe: Die Fundstücke müssen zuerst vorsichtig mit Wasser abgespült werden, besonders empfindliche Teile werden mit dem Pinsel gesäubert. Anschließend sortieren die Wissenschaftler die Bruchstücke und versuchen, sie zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. „Wir wissen noch gar nicht, wie ergiebig der Fundort ist“, sagt Thomas Rathgeber, „aber es wird mit Sicherheit Wochen dauern, bis das alles gereinigt und geordnet ist.“

Die entscheidende Arbeit beginnt erst nach den Ausgrabungen. Im Naturkundemuseum untersucht Reinhard Ziegler die ersten Fundstücke. An diesem Mittwoch klärt er auch die Frage, ob die gefundenen Stoßzähne von einem Waldelefanten oder einem Mammut stammen. „Die letzten Waldelefanten sind bei uns vor etwa 115.000 Jahren am Ende der letzten Warmzeit ausgestorben“, Ziegler. Als es in der Region anschließend kälter wurde, traten die Mammuts an ihre Stelle – sie waren deutlich besser an die Kälte angepasst.

Reinhard Ziegler vermisst die Knochen, er prüft ihre Krümmung und kommt zu einem Ergebnis: die Überreste stammen tatsächlich von einem Mammut. Weil die Bruchstücke zudem zu einem großen und zu einem deutlich kleineren Stoßzahn gehören, steht auch fest, dass sie von verschiedenen Tieren stammen. Neben den Zähnen werden bei den Ausgrabungen Rippenbruchstücke und ein Halswirbel gefunden.

"Ideale Weideplätze"

Zeitgenossen der Mammuts waren jene Fellnashörner, auf deren Überreste die Wissenschaftler ebenfalls gestoßen sind, sowie Steppenbisons und Auerochsen. Die Mammuts fanden in der Region damals „ideale Weideplätze“, erzählt Reinhard Ziegler. Sie fraßen Gräser, Zwergbirken und Kräuter.

An den Grabungen in der Innenstadt ist neben den Naturwissenschaftlern auch ein Experte des Landesamts für Denkmalpflege beteiligt. Doch bisher sind keine Steinwerkzeuge oder andere archäologisch relevanten Objekte gefunden worden – beim Mammut in der Lautenschlagerstraße.