Inzwischen sind die Kosten für den Fusionsreaktor Iter in Südfrankreich auf 15 Milliarden Euro geklettert. Der Physiker Walter Kasparek von der Universität Stuttgart erklärt im StZ-Gespräch einen Grund dafür: die vielen beteiligten Forscherteams tragen dazu bei.

Stuttgart – Der Fusionsreaktor Iter, der eine neue Energiequelle erschließen soll, kommt voran. In Südfrankreich ist am Donnerstag das mehr als 20.000 Quadratmeter große Kontroll- und Verwaltungszentrum eingeweiht worden. An der Feier nahmen auch EU-Energiekommissar Günther Oettinger und die französische Forschungsministerin Geneviève Fioraso teil. Bereits vor einem Jahr ist eine Fabrikhalle auf dem Gelände fertig gestellt worden. Iter wird in der Nähe des Kernforschungszentrums Cadarache gebaut. Die Abkürzung Iter steht für: Internationaler Thermonuklearer Experimentalreaktor. Iter soll zeigen, dass durch die Verschmelzung von Atomkernen zuverlässig Energie erzeugt werden kann. Bisher ist dies in kleineren Testreaktoren gelungen, jedoch nicht lange und effizient genug. Im April 2012 hatte das EU-Parlament zusätzliche 650 Millionen Euro für Iter genehmigt. Die Kosten sind seit der Vertragsunterzeichnung im Jahr 2005 explodiert. Der europäische Anteil beträgt inzwischen 6,6 Milliarden Euro. Oettinger sagte, dass es auch in Zeiten der Finanzkrise wichtig sei, „dass wir an der Finanzierung von Projekten wie Iter festhalten, die langfristig dazu beitragen, die Schadstoffbelastung unserer Energieversorgung zu verringern“. Der Physiker Walter Kasparek von der Universität Stuttgart gibt im StZ-Gespräch einen Einblick in die Arbeit am Projekt.
Herr Kasparek, wie weit sind die Bauarbeiten in Cadarache fortgeschritten?
Neben dem Hauptquartier von Iter sind auch schon eine Fabrikationshalle für Magnetspulen und das Fundament des Reaktorgebäudes fertig.

Wie war Ihr Eindruck von der Anlage?
Das Gelände ist riesengroß, ich war sehr beeindruckt, als ich vor einem Jahr dort war. Damals wurden gerade Hunderte Stoßdämpfer auf das Fundament gebaut. Auf sie wird die Bodenplatte des Reaktors gesetzt. Das macht ihn erdbebensicher.

Wann soll der Reaktor fertig sein?
Der Zeitplan sieht vor, dass der wissenschaftliche Teil des Experiments 2020 beginnt. Ab dann wird der Iter mit Wasserstoff und Deuterium betrieben. In dieser ersten Phase geht es vor allem darum, die Physik des Reaktors zu verstehen und den Betrieb zu optimieren.

Wann geht der eigentliche Betrieb los, mit dem überprüft werden soll, ob die Kernfusion als Energiequelle taugt?
Ab 2027 kommen Deuterium und Tritium zum Einsatz. Damit hat Iter dann eine Fusionsleistung von bis zu 500 Megawatt.

In Deutschland sind mehrere Großprojekte wegen großer Verspätung in die Schlagzeilen geraten. Wird auch Iter noch mit Verzögerungen kämpfen müssen?
Iter ist viel komplexer als ein Flughafen oder Bahnhof. Wir betreten in ganz vielen Bereichen Neuland. Dabei stößt man immer wieder auf Probleme, die gelöst werden müssen. Das kostet Zeit und Geld.

Teurer ist Iter bereits geworden: Statt der ursprünglich vereinbarten fünf Milliarden Euro rechnet man aktuell mit 15 Milliarden. Bleibt es dabei?
Das ist schwer zu sagen. Ein Problem ist, dass viele Gruppen an ein und derselben Komponente arbeiten. Jeder findet etwas, was man noch einbauen oder verbessern könnte. Manche schießen dabei übers Ziel hinaus. Das kann zu steigenden Kosten führen.

Was steuert Ihre Gruppe an der Universität Stuttgart zu dem Projekt bei?
Um die für die Kernfusion nötigen Temperaturen zu erzeugen, braucht man externe Heizmechanismen. Eine Möglichkeit ist, sehr hochfrequente Mikrowellenstrahlung in den Reaktor einzustrahlen. Wir entwickeln und optimieren Antennen, die man dazu braucht.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Wir berechnen zum Beispiel die optimale Form der Hohlleiter und Reflektoren für die Heizantennen. Insgesamt sollen im Dauerbetrieb Mikrowellen mit einer Leistung von 20 Megawatt und bei 170 Gigahertz abgestrahlt werden. Das ist keine Standardtechnik, so etwas wird nur für Fusionsexperimente gebaut.

Wer arbeitet sonst noch an der Mikrowellenheizung?
In den meisten Ländern, die Fusionsforschung betreiben, gibt es auch Entwicklungen zur Mikrowellenheizung. Wir sind Teil eines europäischen Konsortiums. Wir arbeiten eng mit dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München und in Greifswald zusammen, aber auch mit Instituten in Karlsruhe, Mailand und Lausanne. Daneben werden Komponenten der Mikrowellenheizung in Japan, Russland, Indien und den USA entwickelt. Auch dort werden Rechnungen und Entwicklungen zur Mikrowellenheizung durchgeführt. Die mechanische Konstruktion der Antennen findet vorwiegend am Karlsruher Institut für Technologie statt.

Dort werden die Antennen gebaut?
Nein, so ein Antennensystem ist fünf Meter lang und wiegt viele Tonnen – das ist nichts, was ein Forschungsinstitut fertigt. Die Herstellung übernehmen Partner aus der Industrie.

Ist es nicht ein Problem, wenn so viele Gruppen an einem System mitarbeiten?
Alle Komponenten müssen am Ende reibungslos zusammenarbeiten. Auf den Meetings wird daher intensiv über die Schnittstellen diskutiert. Dabei kommt es auch mal zu Reibungen.

Wieso setzt man auf diesen Wettbewerb zwischen Forschergruppen?
Iter ist ein internationales Forschungsprojekt. Es ist politisch gewollt, dass alle an Iter beteiligten Länder ein Stück vom Kuchen abbekommen und in jedem Mitgliedsland möglichst viel Knowhow entsteht. Auch die Industrien der Länder sollen profitieren. Das führt aber leider auch dazu, dass der Bau am Ende komplexer und teurer wird.

Erwarten Sie, dass Iter am Ende stabil laufen wird?
In einem extrem heißen Gas, einem Plasma, bilden sich Instabilitäten, bei denen die Fusionsreaktion erlöschen kann. Die Mikrowellenheizung soll die Hauptinstabilität gezielt unterdrücken.

Rechnen Sie mit neuen, bisher unbekannten Instabilitäten?
Eher nicht. Die aktuellen kleineren Fusionsexperimente haben ja schon Fusionstemperaturen mit entsprechenden Dichten erreicht. Iter ist natürlich größer. Die Parameter, von denen die Instabilitäten abhängen, wurden aber bereits getestet, so dass wir keine sehr großen Überraschungen erwarten.