Ex-Stürmer Marco van Basten regt an, dass sich der Fußball etwas vom Rugby abschaut: Nur noch der Kapitän soll mit dem Schiedsrichter reden – ein charmanter Ansatz.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Fingerspitzengefühl. Immer wieder ist davon die Rede. Auch eine klare Linie müsse einer haben. Und in Fachdiskussionen wird gerne der Ermessensspielraum angeführt, den ein guter Schiedsrichter im Sinne des Spiels nutzen sollte. Doch das ist nur die Theorie. Praktisch weiß jeder Fußballschiedsrichter, dass es mit einem Pfiff sehr eng für ihn werden kann. Im wahren Wortsinn.

 

Foul, Hand, Elfmeter, Tätlichkeit, Schwalbe, Abseits oder auch nur Einwurf. Die Liste der Streitpunkte scheint lang und vielschichtig im Fußball, aber die Reaktion auf dem Platz ist stets dieselbe und heftig: die berühmt-berüchtigte Rudelbildung, in der Schiedsrichter in der Regel alleine dastehen und nicht selten von Spielern beider Trikotfarben bedrängt werden.

Das Fernsehgericht tagt ständig

Es ist nicht einfach, in dieser Massenkarambolage der Emotionen den Überblick zu behalten. Und obwohl einem der gesunde Menschenverstand sagt, dass gerade Schiedsrichter im Spitzenbereich eine schwere Aufgabe zu erfüllen haben, häufen sich die vermeintlich strittigen Szenen und spitzen sich die Situationen für die Unparteiischen zu. Zumindest die subjektive Wahrnehmung vermittelt diesen Eindruck, weil schon während jeder Begegnung auf dem Rasen das Fernsehgericht tagt. Bilder aus allen erdenklichen Perspektiven sind schnell gezeigt – und Urteile ebenso schnell gefällt.

Meist sitzen dabei die Schiedsrichter auf der Anklagebank, seltener Spieler und Trainer. Doch deren Plädoyer läuft immer darauf hinaus, dass sie im Affekt gehandelt hätten. Also Freispruch oder mildernde Umstände. Während die Unparteiischen schon forensische Untersuchungsergebnisse über – sagen wir mal – die Körperflächenvergrößerung beim Handspiel präsentieren müssen, um als unbescholtene Referees die nächste Partie pfeifen zu dürfen.

Dieses Ungleichgewicht – oder ist es gar Ungerechtigkeit? – in der Beurteilung von Szenen und ihren Folgen hat sich nun so sehr zum Problem ausgewachsen, dass selbst die Hüter des schönen Spiels auf dem Zürichberg nicht mehr wegschauen können. Marco van Basten, einst ein eleganter, erfolgreicher Stürmer und jetzt technischer Berater des Weltverbandes Fifa, hat sich zu Wort gemeldet und die Idee ausgesprochen, den Profis auf dem Platz wieder mehr Manieren beibringen zu wollen. „Das Verhalten der Spieler könnte besser sein“, erklärt der 52-jährige Niederländer. „Wir bei der Fifa denken darüber nach, es wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.“

Der Schiedsrichter kommt im Rugby gleich hinter Gott

Wie beim Rugby könnte das dann laufen, so die Vorstellung van Bastens. Dort gibt es Vier-Augen-Gespräche mit dem Kapitän statt Rudelbildung mit eingeschränkter Beißhemmung. Nur einer darf sich also dem Unparteiischen nähern. Das ist ein charmanter Ansatz, auch wenn er zur Weihnachtszeit formuliert wurde und somit unter dem Verdacht steht, nicht mehr als ein frommer Wunsch zu sein.

Doch das Vorbild einer Sportart, bei der 100-Kilo-Kolosse mit aller Kraft aufeinander losgehen, zeigt, dass es auch anders geht als im Fußball. Doch Rugby ist auch eine Sportart, in  welcher der Geist des Fairplays so tief inne wohnt, dass er   nicht infrage gestellt wird. Niemals. „Der Schiedsrichter kommt gleich hinter dem lieben Gott“, sagt der Rugbytrainer Peter Ianusevici.

Beim Fußball kommt der Schiedsrichter gleich hinter dem Zeugwart. Seine Entscheidungen können von jedem im Stadion angezweifelt werden. Er darf auch von jedem angeraunzt werden. Dabei ist es oft so, dass einem Schiedsrichter während des Spiels nicht mehr Fehler unterlaufen als einem Torwart oder Trainer. Allerdings entwickelt sich das Verhältnis zwischen Stars und Referees zum Machtkampf. Bestes Beispiel: Roger Schmidt im vergangenen Februar. Der Leverkusener Trainer führte sich nach einer Entscheidung von Felix Zwayer und dem folgenden Gegentor der Dortmunder so wild auf, dass er auf die Tribüne geschickt wurde. Nur: Schmidt ging nicht. Er wollte Zwayer vorführen.

Selbst ein Clubmaskottchen benimmt sich daneben

Es war im abgelaufenen Fußballjahr der Gipfel der Respektlosigkeit gegenüber dem Mann, der das Spiel eigentlich leiten soll. Ein Verhalten, das große Diskussionen auslöste. Über den zunehmenden Druck. Über die schwierige Kommunikation. Über Lösungsstrategien. Doch abseits aller Gefühlsausbrüche auf der einen Ebene und den Rufen nach technischen Hilfsmitteln auf der anderen Ebene bleibt der Umgang mit dem Schiedsrichter eine Frage des Respekts – oder der Regeln und deren Vermittlung.

„Rugby ist ein Sport für Raufbolde, der von Ehrenmännern betrieben wird“, heißt es gerne. Fußball scheint dagegen ein Sport von Jungmillionären, der mit allen Mitteln betrieben wird, die einen Vorteil versprechen. Das geht nun so weit, dass die Grenzen des angemessenen Benehmens selbst von Clubmaskottchen überschritten werden. Beim FC Watford imitierte „Harry the Hornet“ in der Nähe von Wilfried Zaha eine Schwalbe, da der Spieler von Crystal Palace zuvor versucht hatte, einen Elfmeter zu schinden. Schiedsrichter Mark Clattenburg fiel nicht darauf herein, Crystal-Coach Sam Allardyce meinte: „Das Maskottchen ist gestört, oder?“ – und in England läuft jetzt eine Debatte über unnötige Provokationen und den nötigen Respekt.

Basketball

Basketball ist zwar ein körperlich sehr intensiver Sport, dennoch geht es auf dem Feld vergleichsweise fair zu. Dafür sorgt zunächst einmal das Regelwerk, laut dem ein Spieler nach seinem fünften persönlichen Foul vom Feld muss. Was das Reklamieren angeht, haben die Schiedsrichter zudem die Möglichkeit, ein technisches Foul gegen Spieler (und Trainer!) auszusprechen, was zwei Freiwürfe sowie Ballbesitz für den Gegner zur Folge hat. Im Zweifel können die Unparteiischen dazu das „Instant replay“ (eine Art Videobeweis) zur Hilfe nehmen.

Ein zweites technisches Foul sieht die Disqualifikation nach sich (wie bei der Gelb-Roten Karte im Fußball). Die kann in einem schweren Fall auch sofort ausgesprochen werden. Offiziell ist es dem Trainer und Kapitän vorbehalten, bei den Unparteiischen zu intervenieren; sie unterzeichnen am Ende auch den Spielberichtsbogen. Kritik an den drei Referees (zum Beispiel in der Pressekonferenz) ist sogar verboten.

Eishockey

Eishockey ist schnell, daher werden Spiele der NHL in Nordamerika und in der deutschen DEL von zwei Hauptschiedsrichtern geleitet, sie werden von zwei Linienrichtern unterstützt. Nur die Referees können Tore anerkennen und Strafen aussprechen, die Linesmen dürfen beraten. Es gibt bei wichtigen Partien noch Torrichter und einen Video-Torrichter, der bei strittigen Tor-Entscheidungen von den Hauptschiedsrichtern kontaktiert wird. Zartbesaitet dürfen die „Zebras“ (wegen ihrer schwarz-weiß-gestreiften Kluft) nicht sein: Sie müssen mitunter sich prügelnde Cracks trennen.

Im Grunde sind Schiedsrichter für die Spieler aber tabu, laut Regelwerk darf nur der Kapitän oder einer seiner zwei Vertreter mit den Referees sprechen. Dies wird mal mehr, mal weniger strikt ausgelegt – doch wenn ein Akteur zu heftig diskutiert oder zu abfällig mosert, erhält er eine Zwei-Minuten-Strafe. Auch Trainer oder andere Personen auf der Bank können mit Strafen belegt werden.

American Football

Im American Football ist der Schiedsrichter nie alleine. Denn die Spiele werden von mindestens vier Referees geleitet, in Profiligen sind sogar sieben Unparteiische im Einsatz. Jeder von ihnen ist für einen bestimmten Teil des Spielfeldes zuständig. Der Oberschiedsrichter wird wegen seiner weißen Mütze umgangssprachlich auch Whitehead genannt. Er gibt die Entscheidungen seines Septetts über Strafen bekannt – in höheren Ligen geschieht das per Mikrofon, so dass alles auch für die Zuschauer nachvollziehbar ist. Spielerproteste sind ihm weitgehend fremd, das gibt es im American Football nur selten – das verbietet der Ehrenkodex. Rudelbildungen sind nie zu sehen. Lediglich mit den Trainern geraten die Referees mal aneinander, wenn es Unstimmigkeiten gibt. Betreten diese allerdings das Feld, wird das geahndet. Zweimal pro Spielhälfte haben die Coaches die Möglichkeit, offiziell Protest gegen Entscheidungen einzulegen und so den Videobeweis anzufordern.

Rugby

Im Rugby sagen sie: Der Schiedsrichter kommt gleich hinter Gott. Der Referee ist eine absolute Autorität auf dem Platz, seine Entscheidungen werden nicht infrage gestellt. Er darf nur von den Kapitänen angesprochen werden, bei Zuwiderhandlungen gibt es eine Gelbe Karte, die verbunden ist mit einer zehnminütigen Zeitstrafe. Die Kapitäne müssen den Schiedsrichter in alter britischer Tradition mit „Sir“ ansprechen. Der Referee kommuniziert aktiv mit den Spielern und versucht so, Regelverstöße im Vorfeld zu verhindern. Über Funk steht er in Kontakt mit den Kollegen draußen, der Videobeweis kommt zum Einsatz.

Trotz aller Körperlichkeit und Intensität des Spiels kommt es so gut wie nie zu Rudelbildungen – auch wenn zuletzt zu beobachten war, dass die Umgangsformen etwas gelitten haben.

In den Vereinen ist der Respekt vor dem Schiedsrichter, dem Gegner und den Werten des Sports elementarer Teil in der Ausbildung der Jugend.

Handball

Stuttgart - Im Handball gibt es seit Sommer neue Regeln, die für großen Diskussionsstoff gesorgt haben. Was aber mehr an der taktischen Variante mit dem siebten Feldspieler liegt. Dabei bietet der Sport wegen der Interpretationsmöglichkeiten durch die Schiedsrichter von jeher Gesprächsstoff. Und, ja, auch im Handball hat es schon Rudelbildung gegeben, allerdings ist das die absolute Ausnahme.

Normalerweise werden die Entscheidungen der beiden Schiedsrichter akzeptiert. Für Vergehen gibt es unterschiedliche Karten. Zunächst einmal Gelb, wobei jeder Spieler nur einmal verwarnt werden sollte, danach folgt die Zeitstrafe. Die dritte Zwei-Minuten-Strafe ist gleichbedeutend mit der Disqualifikation. Ein grobes Foul zieht eine Rote Karte (sofortiger Ausschluss) nach sich, die im Extremfall mit der (neuen) Blauen Karte auch eine Sperre über das Spiel hinaus zur Folge hat (bei besonders unsportlichem Verhalten – zum Beispiel auch Schiedsrichterbeleidigung).