Das Chaos bei der Fifa lässt die Organisatoren in Moskau ebenso kalt wie ein belastender Bericht des Rechnungshofes, berichtet unsere Korrespondentin Elke Windisch.

Moskau - Zwar hatte wieder mal der Genosse Zufall seine Hand mit im Spiel, aber das Timing war perfekt. Zumindest aus Sicht all jener, die die Vergabe der Fußball-WM 2018 an Russland von Anfang an kritisiert haben, denn kurz bevor am Mittwoch bekannt geworden war, dass die Schweizer Staatsanwaltschaft rund um die Vergaben der Weltmeisterschaften 2018 an Russland und 2022 an Katar ein Strafverfahren wegen des Verdachts „auf ungetreue Geschäftsbesorgung sowie Geldwäscherei“ eröffnet hat (siehe auch „Tagesthema“ auf Seite 2), hatte auch schon der russische Rechnungshof die zweckentfremdete Nutzung von Haushaltsmitteln und andere Unregelmäßigkeiten bei der Vorbereitung in seinem Prüfbericht gerügt. Und neben Parlament und Regierung auch die Generalstaatsanwaltschaft mit auf Kopie gesetzt.

 

Russland sieht sich aber durch die Festnahmen und Ermittlungen beim Weltverband Fifa als Gastgeber der WM 2018 überhaupt nicht belastet. Die betroffenen Funktionäre hätten „keine Beziehung“ zu dem Turnier in drei Jahren, sagte der Sportminister Witali Mutko. „Wir haben nichts zu verbergen.“ Und auch der Vizeparlamentschef Igor Lebedew begrüßte die Ermittlungen. „Diebstahl und Korruption müssen bekämpft werden, ob bei internationalen Organisationen oder etwa beim russischen Fußballverband“, sagte er. Russlands Gastgeberrolle sei nicht gefährdet. „Ich sehe da keinen Zusammenhang. Die Vorbereitungen bei uns laufen“, sagte Lebedew.

Besonders kritisch ist die Lage in der Region Jekaterinburg

Wenn man dem Bericht des Rechnungshofes glaubt, laufen diese Vorbereitungen aber in eine Richtung, die auch der geldgierigen Fifa nicht passen dürfte. Immerhin geht es um einen Gesamtschaden von bis zu 700 Milliarden Rubel – umgerechnet 11,8 Milliarden Euro. Die Mängelliste ist lang. Ein Teil der Fußballarenen werde nach veralteten Plänen gebaut, heißt es im Bericht des Rechnungshofes. Für einige davon habe die dem Sportministerium unterstellte und für die Auftragsvergabe zuständige „Hauptverwaltung für Organisation von Sportveranstaltungen“ von Bewerbern nicht einmal ein Angebot eingeholt. In mindestens vier Fällen gehen die Prüfer davon aus, dass potenzielle Auftragnehmer sich millionenschwere Verträge dadurch ergaunerten, dass sie bei Ausschreibungen gefälschte Unterlagen einreichten oder solche, deren Geltungszeitraum bereits abgelaufen war.

Die WM-Pläne, so heißt es wörtlich in dem Report, der inzwischen auch auf der Homepage des Rechnungshofes steht, müssten überarbeitet und in Teilen sogar revidiert werden. Bei 43 Prozent der insgesamt 124 WM-Objekte müssten „Auftragnehmer und Finanzierungsbedarf aktualisiert“ werden. Besonders kritisch sei die Situation in der Region Jekaterinburg im Ural und in Kaliningrad. Dort hätten staatliche Gutachter über Projektunterlagen wie Kalkulation den Daumen gesenkt. Dabei hatte das Sportministerium, das den Bau von insgesamt fünf Stadien in den Regionen vorfinanzieren soll, im Herbst bereits fast 30 Milliarden Rubel (550 Millionen Euro) an die Generalauftragnehmer überwiesen. Womöglich haben die staatlichen Sportadministratoren weitere Leichen im Keller, denn der Bericht untersucht nur den Zeitraum 2014.

Die WM wird teuer für den russischen Steuerzahler

Eines indes scheint schon jetzt klar: die Fußball-WM kommt, so sie denn nach den jüngsten Entwicklungen vor dem Fifa-Kongress in Zürich tatsächlich in Russland stattfindet, den Steuerzahler ähnlich teuer wie die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi. Das waren mit rund 40 Milliarden Euro die bisher teuersten Spiele, bei denen die Organisatoren das bei der Vergabe 2006 kalkulierte Budget um ein Vielfaches überzogen.

Auch die für die Fußball-WM veranschlagten zwölf Milliarden Euro dürften nicht reichen. Gebaut wird vor allem mit Importen, und die haben sich durch den schwachen Rubel um teilweise bis zu 40 Prozent verteuert. Entlastung könnte da eine Vorlage zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes bringen. Sie liegt der Duma bereits vor und soll den Einsatz von Häftlingen ermöglichen, die derzeit nur in Werkstätten von Vollzugseinrichtungen arbeiten dürfen.

Der Autor der Gesetzesvorlage – Alexei Hinstein, Mandatsträger der Kreml-Partei Einiges Russland und berühmt-berüchtigt für exzentrische Initiativen – vermeidet im Text zwar jeden direkten Bezug auf die Fußball-Weltmeisterschaft, doch die Formulierung „Einsatz bei Unternehmen aller Organisations- und Eigentumsformen“ interpretieren die Regionen bereits als Blankoscheck für die Beschaffung billiger Arbeitskräfte.

Miserable Entlohnung von Gastarbeitern in Sotschi

Schließlich zogen auch in Sotschi vor allem miserabel entlohnte und teils wie Sklaven gehaltene Gastarbeiter aus den ehemaligen Sowjetrepubliken Wettkampfstätten und große Teile der olympischen Infrastruktur hoch. Auch die Vollzugsbehörde steht dem Vorhaben aufgeschlossen gegenüber. Gern, so sagte deren Vizechef Alexander Rudy in einem Interview für die überregionale Tageszeitung „Kommersant“, werde man Häftlinge „für Aufgaben zur Verfügung stellen, denen gewöhnliche Bürger nicht viel abgewinnen können“. Der Einsatz soll jedoch – natürlich – freiwillig sein.

Die Moskauer Stadtregierung indes hat auf die Mitwirkung von Häftlingen bei den WM-Bauten bereits dankend verzichtet. Es gehe um sehr komplexe Vorhaben, der Nutzen von Ungelernten sei daher begrenzt. Auch gäbe es weder Zeitverzug noch Mangel an Arbeitskräften. In der Tat. Bis zu einer Million Gastarbeiter, vor allem aus Zentralasien, schuftet zurzeit in Moskau. Meist bei der Stadtreinigung und auf dem Bau. Viele illegal und daher so billig wie Gefangene, deren Arbeit nach der Hinstein-Vorlage mit 15 000 Rubel monatlich vergütet werden soll – also umgerechnet 280 Euro.