Gottfried Fuchs hält seit genau 100 Jahren einen deutschen Rekord. Beim 16:0-Sieg über Russland erzielte der Nationalspieler zehn Tore. Die Nazis strichen den Namen des überragenden jüdischen Fußballers aus den Statistiken.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - E s ist gut, dass Gottfried Fuchs diesen Brief nicht mehr gelesen hat. Fuchs war zwei Tage vor der Zustellung – am 25. Februar 1972 – in seiner zweiten Heimat Kanada im Alter von 82 Jahren gestorben. Der Brief kam aus seiner ersten Heimat Deutschland. Absender: Sepp Herberger. Der Ex-Nationaltrainer schrieb Gottfried Fuchs, dem Idol seiner Jugend, dass es der Deutsche Fußball-Bund ablehne, einen seiner bedeutendsten Fußballer zum Eröffnungsspiel des Münchner Olympiastadions gegen Russland einzuladen. Diese Entscheidung des DFB empfand Herberger zeit seines Lebens als eine der größten persönlichen Enttäuschungen – er, der Deutschland 1954 zum Fußball-Weltmeister gemacht hatte.

 

Herberger zeigte sich entsetzt darüber, dass Deutschland und der DFB einen Fußballer nicht willkommen heißt, der 1937 ins Exil getrieben wurde. Gottfried Fuchs war Jude. Dass er im Ersten Weltkrieg auch ein hochdekorierter Frontoffizier und dazu noch der erfolgreichste deutsche Stürmer zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewesen war, zählte unter Adolf Hitlers Terrorherrschaft nichts mehr.

1972 wollte der DFB offensichtlich nicht mit der eigenen dunklen Vergangenheit konfrontiert werden. Im Vorstand unter dem Präsidenten Hermann Neuberger saßen mehrere ehemals eifrige NSDAP-Funktionäre ebenso wie ein früherer SS-Mann. Gottfried Fuchs hätte ihnen die Hand zur Versöhnung gereicht. Der DFB hat diese Hand in an Schändlichkeit kaum zu übertreffender Manier ausgeschlagen. Es bestehe „keine Neigung, im Sinne des Vorschlags zu verfahren“ ließ der damalige DFB-Schatzmeister Hubert Claessen gegenüber Herberger verlauten und wies auf eine „angespannte Haushaltslage“ hin.

Aufarbeitung der NS-Zeit

Mittlerweile hat sich der DFB seiner Vergangenheit gestellt. Dies ist Theo Zwanziger zu verdanken, der sich wie kein anderer Präsident vor und vermutlich auch nach ihm für die Aufarbeitung der NS-Zeit eingesetzt hat. So entstand mit der Unterstützung Zwanzigers auch das Recherche-Meisterwerk des Autors Werner Skrentny mit dem Titel „Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet.“.

Julius Hirsch war zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts neben Gottfried Fuchs der zweite herausragende Fußballnationalspieler jüdischen Glaubens. Im Unterschied zu seinem Freund Gottfried Fuchs – beide stammten aus Karlsruhe und spielten beim ortsansässigen FV – deutete Julius Hirsch die Zeichen der Nazizeit falsch. Er blieb in Deutschland, wurde deportiert und 1943 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet. Werner Skrentny hat dem Opfer des Dritten Reichs mit seinem Buch ebenso ein Denkmal gesetzt wie Theo Zwanziger, der den Julius-Hirsch-Preis für Fußballprojekte gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus ins Leben gerufen hat.

Sieg mit 16:0

Als beste deutsche Fußballer dieser Zeit vertraten Gottfried Fuchs und Julius Hirsch ihr Land 1912 beim olympischen Turnier in Stockholm. Und eine Partie im Rasunda-Stadion vor genau 100 Jahren sollte historische Bedeutung erlangen. In der olympischen Trostrunde traf Deutschland auf Russland und gewann mit 16:0. Bis heute ist das der höchste Länderspielsieg einer DFB-Auswahl. In dieser Partie gelangen Gottfried Fuchs unglaubliche zehn Tore. Noch unglaublicher ist allerdings, dass die Nazis diesen Rekord aus den Statistiken verschwinden ließen.

Zehn Tore in einem offiziellen Länderspiel waren auch lange Zeit Weltrekord – bis ins Jahr 2001, als der Australier Archie Thompson beim 31:0 in der WM-Qualifikationspartie gegen Amerikanisch-Samoa 13 Treffer erzielte. Ein anderer deutscher Nationalspieler kam bisher nicht in die Nähe von Gottfried Fuchs’ Bestmarke.

Ex-Holzhändler

Gottfried Fuchs, der es als Holzhändler zunächst in Deutschland und dann auch in Kanada zu Wohlstand gebracht hatte, galt als besonders fairer Sportsmann, der auch einmal den Schiedsrichter aufgefordert haben soll, einen Elfmeter zurückzunehmen – mit der Erklärung, er sei doch über die eigenen Füße gestolpert.

Gottfried Fuchs, der seinen Namen in Kanada in Godfrey Fochs ändern ließ, starb in der Hoffnung, in Deutschland als großer Fußballer begrüßt zu werden. Diese Hoffnung gab ihm die Brieffreundschaft mit Sepp Herberger, die 1955 mit diesen Zeilen des damaligen Bundestrainers begann: „Ich war noch ein kleiner Schulbub in Mannheim, als ich von Ihrer Fußballkunst hörte, und dann sah ich Sie selbst spielen. Ich war sofort hellauf begeistert.“ Gut, dass Gottfried Fuchs diesen Brief gelesen hat.