Vor 70 Jahren kamen 601 Häftlinge in das KZ Hailfingen-Tailfingen. Darunter auch Abraham Szkolnik. Seine Enkel aus Australien wohnten der Gedenkfeier bei.

Gäufelden - Er trägt den Filzhut seines Großvaters und grinst. „Das Leben geht weiter, und wir freuen uns, hier zu sein“, sagt der 40 Jahre alte Jay Szkolnik. Er ist ein Enkel von Abraham Szkolnik,

 

einem der Überlebenden des einstigen Konzentrationslagers (KZ) Hailfingen-Tailfingen. Jay Szkolnik und sein 38 Jahre alter Bruder Lee wohnten wie vier andere Hinterbliebene der Gedenkfeier anlässlich des 70. Jahrestags der KZ-Öffnung am 19. November 1944 im Rathaus von Tailfingen bei, in dem sich das Dokumentationszentrum über das einstige KZ befindet. Die beiden traten die weite Reise aus dem australischen Melbourne an, um das Mahnmal, die KZ-Friedhöfe ehemaliger Häftlinge und die Dauerausstellung über das Hailfinger Lager zu besuchen. Diese wurde um eine Porträtgalerie erweitert – eines der Fotos zeigt auch Abraham Szkolnik.

Kälte, Hunger, mangelnde Hygiene und Schläge

„Er war ein starker Mann. Mental, physisch und auch in seinem Herzen“, sagt Jay Szkolnik, „sonst hätte er das alles nicht verkraftet.“ Der im Jahr 1923 im polnischen Lencyca geborene Abraham Szkolnik wurde als Jude von den Nazis in das polnische Ghetto von Bochnia gebracht und kam nach dessen Auflösung am 2. September 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz. Als die russische Armee näher rückte, wurde der damals 20-Jährige im KZ Stutthof bei Danzig inhaftiert. Im November 1944 wurden aus diesem Zwischenlager 600 Häftlinge in das KZ nach Stuttgart-Echterdingen gebracht, 601 in das KZ-Außenlager nach Hailfingen-Tailfingen. Die Häftlinge mussten den Nachtjägerflugplatz Hailfingen ausbauen und in Steinbrüchen arbeiten. Sie schliefen in einer mit Stacheldraht umzäunten Flugzeughalle an der Stelle des heutigen Sportplatzes von Tailfingen. Sie hatten nur wenig Kleidung, litten unter Kälte, Hunger, mangelnder Hygiene und bekamen Schläge vom Wachpersonal. Viele waren krank und geschwächt von vorherigen Lagern und Transporten. Die meisten von den 189 Menschen, die in dem KZ ihr Leben ließen, starben innerhalb von nur drei Monaten.

Abraham Szkolnik überlebte auch diese Torturen, jedoch ging seine unmenschliche Odyssee weiter. Nach der Auflösung des KZ Hailfingen im Februar 1945 überstand er – an Typhus erkrankt – noch die Inhaftierung in einem weiteren KZ und kam nach Kriegsende noch in Lager, wo er seine Frau Sonia, ebenfalls Jüdin, kennengelernt habe, berichtet Volker Mall vom Verein KZ-Gedenkstätte Hailfingen-Tailfingen. Zusammen mit dem Vorstand Harald Roth hat Mall seit dem Jahr 2004 den Leidensweg der 601 Hailfinger Häftlinge erforscht.

Jay Szkolnik: Wir wollen Spaß haben und blicken nach vorn

Die beiden stießen auch darauf, dass Abraham Szkolnik im Jahr 1946 mit seiner Frau Sonia nach Australien ausgewandert war Vor einigen Jahren wurde der Kontakt mit der Familie aufgenommen. „Szkolniks Sohn Ben hat sich nicht bei uns gemeldet. Dafür aber Jay. Das war im Februar dieses Jahres. Es ist oft so, dass sich erst die zweite Generation der Opfer mit den Schrecken von damals auseinandersetzt“, sagt Mall.

„Unser Großvater, der im Jahr 2013 gestorben ist, hat uns nicht viel erzählen wollen, wir haben trotzdem danach gefragt“, sagt Jay Szkolnik. Trotz der Gräuel sei er nicht von Hass erfüllt gewesen und habe sein Leben genossen. Er habe einen Gemüseladen gehabt, in der Familie sei weiterhin die jüdische Kultur gepflegt worden. Zur jüdischen Gemeinde in Melbourne zählten 140 000 Menschen mit zahlreichen Holocaust-Überlebenden. „Auch wir Jungen hassen die Deutschen nicht“, sagt Jay Szkolnik, „die Geschichte war und ist grausam. Wir wollen Spaß haben und blicken nach vorne“, sagt er – und hat dieses sympathische Grinsen im Gesicht.