Am Mittwoch will der baden-württembergische Landtag die Ganztagsschulen gesetzlich verankern. Die CDU und viele Eltern fordern maximale Flexibilität aufseiten der Schulen und Gemeinden – nach dem Motto: „Gibt es das auch samstags? Und in den Ferien?“

Stuttgart - „Das wird ein historischer Tag “, davon geht Kultusminister Andreas Stoch (SPD) aus. Am Mittwoch wird der Landtag aller Voraussicht nach die Ganztagsschulen in Baden-Württemberg gesetzlich verankern. Gleichzeitig erleichtert die grün-rote Koalition den Gemeinden die Einrichtung von Ganztagsschulen. Den Auftakt machen die Grundschulen. Kommunen und Land wollen für Kontinuität in der Kinderbetreuung bis zum Ende der Grundschule sorgen und setzen dabei auf Flexibilität. Die Schulen können den Ganztagsbetrieb verpflichtend oder freiwillig machen. Und sie können ihn an drei oder vier Tagen anbieten. Dafür gibt es eine Förderung vom Land.

 

Unstrittig ist, dass der Ausbau der Ganztagsbetreuung vorankommen soll. Grün-Rot sieht darin vor allem die Chance, den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg abzuschwächen. Die CDU unterstreicht den Faktor Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Scharmützel gibt es noch wegen des Grades der Flexibilität. Die CDU verlangt mehr Wahlfreiheit für die Eltern. Nicht nur wie vorgesehen drei oder vier Tage, auch einen oder zwei Tage sollten die Familien zur Ganztagsbetreuung wählen können.

Die Kommunen stoßen an Grenzen

Die Erwartungen der Eltern sind groß und vielfältig. Erfüllen müssen sie die Gemeinden. Doch stoßen die Kommunen an Grenzen. Auch in Tübingen, das sich gerne als Vorreiter in Sachen Kinderbetreuung sieht, gibt es Konflikte, räumt die Erste Bürgermeisterin Christine Arbogast ein. Die Eltern wünschen sich ein Höchstmaß an Flexibilität. Die Stadt will, dass sie sich auf ein Mindestmaß von drei Tagen festlegen. Manchen ist selbst das zu viel, sagt Arbogast und weist auf den Kern des Problems hin: „Eine Betreuungsgruppe ist kein Bällebad bei Ikea.“

Ein pädagogisches Angebot brauche eine gewisse Verbindlichkeit und Kontinuität. Tübingen ist eine der Städte, die zweigleisig fahren. Von den 16 Grundschulen sind fünf bereits Ganztagsschulen, in welcher Form auch immer: verpflichtend, teilgebunden oder offen. Die anderen Grundschulen werden als Halbtagsgrundschulen geführt, und die Eltern können viele Bausteine dazu buchen: mit Mittagessen bis 14 Uhr, mit einer weiteren Stunde Lernzeit und so weiter. Mit diversen Bausteinen kommt man so bis 17.30 Uhr. Allerdings müssen Eltern dafür teilweise bezahlen. Das ist bei der Ganztagsschule nicht der Fall. Die Debatte ist für Arbogast mit dem für heute zu erwartenden Gesetzesbeschluss nicht beendet. Sie sagt: „Es sind viele intensive Aushandlungsprozesse mit der Elternschaft nötig. Diese Prozesse werden nie aufhören.“

Die Wünsche der Eltern sind grenzenlos

Die Wünsche der Eltern sind offensichtlich grenzenlos. Der Schulleiter einer Grundschule im Kreis Reutlingen beispielsweise warb für den Ganztag mit acht Stunden an drei Tagen und sah sich mit der Frage einer Mutter konfrontiert: „Gibt es das auch am Samstag?“ Oder, „was ist mit den Ferien?“ Die Eltern seien von den bisherigen kommunalen Angeboten große Flexibilität gewöhnt, weiß man in den Städten und Gemeinden.

In Weinheim (Rhein-Neckar Kreis) befürwortet die Stadt wie nahezu alle Kommunen den Ganztagsbetrieb an Grundschulen. Als familienfreundliche Kommune stellt sie Schülerbetreuung auf die Beine, sobald mehr als fünf Grundschüler sie wünschen. Außerhalb der Ganztagsschule geht das vollständig auf die Kosten der Gemeinde. Schon aus finanziellen Gründen, aber auch wegen des pädagogischen Konzepts sei die Stadt sehr für die Ganztagsschule, berichtet der Sprecher der Stadt. Doch die Schulkonferenz der Grundschule im Stadtteil Lützelsachsen winkte ab. Man wollte sich nicht auf die verbindlichen Schulzeiten festlegen. Und das obwohl zurzeit 100 von 170 Schülern zur Betreuung angemeldet sind. Aber nur bis 14 Uhr, danach flaut die Nachfrage auf 45 Schüler ab.

Auch kleinere Gemeinden wollen Angebote machen

Mit dem neuen Konzept für die Grundschulen will die Regierung auch kleinere Gemeinden in die Lage versetzen, Angebote zu machen. Künftig sind jahrgangs- und klassenübergreifende Ganztagsgruppen möglich. Das mag nicht der reinen pädagogischen Lehre entsprechen, aber es kommt Gemeinden wie beispielsweise Sauldorf im Kreis Sigmaringen gerade recht.

„Wir wollen schon seit vier Jahren eine Ganztagsschule einrichten, immer hatten wir zu wenig Schüler“, berichtet der Sauldorfer Bürgermeister Wolfgang Sigrist. Der Ganztagsbetrieb im Kindergarten ist stark nachgefragt. Eltern die auf die Ganztagsbetreuung angewiesen sind, sind bis jetzt „genötigt, ihre Kinder in andere Orte zu bringen“. Sehr zum Verdruss des Bürgermeisters, denn „wir sind auf jedes einzelne Kind angewiesen“. Die Hauptschule müssen sie in Sauldorf auslaufen lassen, weil sie zu wenig Schüler haben. Das soll mit der Grundschule nicht auch noch passieren.

Die Frage ist: Verpflichtendes oder offenes Angebot?

Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei auch im ländlichen Raum ein Thema. In der 2500-Einwohner-Gemeinde bietet die Grundschule schon an drei Tagen Nachmittagsbetreuung an. Künftig macht man an vier Tagen Ganztagsgrundschule von 7.30 bis 16.30 Uhr, auf freiwilliger Basis. Eine verpflichtende Ganztagsschule findet der Bürgermeister nicht gut. Darin unterscheidet Wolfgang Sigrist sich von Carmen Harmand, der Leiterin des Weinheimer Amts für Bildung und Sport: „Viele Eltern haben den Mehrwert der verpflichtenden Ganztagsschule noch nicht erkannt“, sagt sie. Sie hätten ihn noch nicht erlebt. Doch Harmand ist sicher, „mit der Zeit wird sich diese Form durchsetzen“.

181 Grundschulen sind am Angebot interessiert

Situation Rund 1400 Schulen bieten in diesem Schuljahr im Land Ganztagsbetrieb an. Laut Kultusministerium nehmen daran rund 170 000 Schüler teil. Die meisten davon (53 500) besuchen eine Haupt- oder Werkrealschule. Die 131 Gemeinschaftsschulen sind alle Ganztagsschulen und zählen 8560 Schüler. Von den 2500 Grundschulen sind 430 Ganztagsschulen. Etwa zwölf Prozent der Grundschüler sind Ganztagsschüler.

Angebot Vom neuen Schuljahr an können Grundschulen klassen- und jahrgangsübergreifende Ganztagsgruppen bilden. Minimum sind 25 Schüler. Der Ganztagsbetrieb ist an drei oder vier Tagen möglich und muss sieben oder acht Zeitstunden umfassen. Pro Gruppe bezahlt das Land je nach Angebot sechs, acht, neun oder zwölf Lehrerwochenstunden. Es gibt keinen Unterschied zwischen verpflichtendem oder freiwilligem Angebot. Die Kommunen können sich die Hälfte der Lehrerstunden auszahlen lassen und andere Angebote finanzieren.

Interessenten Für die neue Ganztagsgrundschule liegen dem Ministerium aktuell 181 Anträge vor.