Um die Menschen im Krieg satt zu bekommen, sind vor 75 Jahren die Degerlocher Gartenfreunde gegründet worden. Heute geht es auf den Parzellen nur noch um Freizeit und Hobby. Doch es könnte mehr junge Mitglieder geben.

Degerloch - Für die Gartenfreunde Degerloch ist ihr 75-jähriger Vereinsgeburtstag ein guter Zeitpunkt, um sich zu verjüngen. „Viele Mitglieder können aus Altersgründen nicht mehr die Parzellen bearbeiten. Wir versuchen, junge Familien als neue Mitglieder zu gewinnen“, sagt der Vorsitzende Philipp Vollrath.

 

Die Gärtner sollten die Leute möglichst satt bekommen

Die Gartenfreunde Degerloch gibt es seit 1939. Die Wirtschaft stand damals ganz im Zeichen des Krieges, die Industrie senkte die zivile Güterproduktion drastisch, und die Stadt Stuttgart verpachtete deshalb Parzellen an die Gartenfreunde, damit diese durch Eigenanbau sich und ihre Mitmenschen satt bekommen.

Diese Motivation ist heutzutage natürlich passé, sagt der Chef-Gartenfreund Philipp Vollrath. „Für unsere Mitglieder stehen der Freizeitgedanke und das Vereinsleben im Vordergrund“, sagt er. „Unsere Mitglieder sind Hausfrauen, Bibliothekarinnen oder Ingenieure.“ Jeder Hobbybauer zahlt die Pacht und die Kosten für Saat und Geräte selbst. Sieben bis acht Gemüsesorten pflanzen die Mitglieder durchschnittlich.

Die Zahl der Gartenfreunde ist stabil

Bereits Anfang der 1970er-Jahre löste die Stadt einige Parzellen wieder auf und wandelte sie in Bauland um. Damals ging die Zahl der Gartenfreunde zurück. Heute ist sie mit 172 stabil. Die Gartenfreunde bewirtschaften insgesamt 146 Parzellen, davon größere Flächen im Hoftäle und an der Albstraße. „Wir haben Leute mit einem Faible für italienisches Gemüse. Bei anderen stehen Knollengewächse wie Kartoffeln hoch im Kurs“, sagt Philipp Vollrath.

Zurzeit gebe es die Tendenz, wieder mehr Parzellen einzurichten, da die Stadt Stuttgart mehr grüne Flächen schaffen möchte. Die Gartenfreunde Degerloch wären aus der Sicht Vollraths ein Nutznießer des Trends zum sogenannten Urban Gardening. So nennt sich die Nutzung städtischer Flächen – wie Parkplätze und Brachen – für den Gartenbau. „Generell begrüße ich die Bewegung, weil sie sich aus dem Motiv speist, mehr über Natur und Umwelt nachzudenken“, sagt der Diplom-Ingenieur im Ruhestand.

Kontakt zu den Schulen gesucht

Vollrath und die anderen möchten künftig zudem enger mit Schulen zusammenarbeiten. „Wir wollen Gärten einrichten, in denen die Schüler zwei bis drei Stunden in der Woche verbringen können“, sagt er. Er hofft, so auch die Eltern als Hobbygärtner zu gewinnen. Er könne sich vorstellen, den Schulen Fachberater zur Seite zu stellen. Allerdings sollten keine Vorgaben gemacht werden. Aktuell seien die Gartenfreunde mit mehreren Schulen im Gespräch.

Allerdings macht sich der Vereinsvorsitzende keine Illusionen darüber, dass die Mitgliederzahlen deshalb nicht unbedingt sprießen wie die Karotten und Tomaten im Garten. Er macht dafür den gesellschaftlichen Wandel verantwortlich. „Früher waren die Leute mehr als zehn Jahre Mitglied. Heute ziehen viele Familien alle zwei oder drei Jahre um“, sagt er. Um über all das nachzudenken, ist der 75. Vereinsgeburtstag eine gute Gelegenheit. Damit noch viele weitere dazukommen.