Mehrere Gasexplosionen verwüsten Teile der taiwanesischen Millionenmetropole Kaohsiung. Ganze Straßenzüge reißen auf und begraben Anwohner und Autos unter den Trümmern. Mindestens 26 Personen sterben, 260 werden verletzt.

Kaohsiung - Der Zufall hat einem Supermarktangestellten in der südtaiwanischen Stadt Kaohsiung das Leben gerettet. Wäre er nur ein paar Sekunden länger an der Ladenfront geblieben, hätte ihn wohl ein schwerer Balken erschlagen, der Augenblicke später aus der Decke krachte. Eine Überwachungskamera zeigt, wie dahinter die Fensterscheibe explosionsartig zerbirst. Warum, wussten weder er noch die Kunden im Laden. Sie suchten weiter im Innern Schutz. Zur gleichen Zeit, etwa gegen Mitternacht Ortszeit, warteten Autos an Ampeln, als plötzlich wenige Meter vor ihnen haushohe Flammen aus dem Boden schossen, wie Videoaufnahmen zeigen. Auf anderen sind Feuerbälle zu sehen, die die Nacht erhellten.

 

Gegen Mitternacht hatten mehrere Explosionen das Zentrum der Hafenstadt erschüttert und ein Flammeninferno ausgelöst, das nach Angaben der taiwanischen Nachrichtenagentur CNA mindestens 26 Personen getötet und mehr als 260 verletzt hat. Vermutet wird, dass der Auslöser Lecks in Pipelines von Petrochemie-Firmen waren, die unter den Straßen parallel zur Kanalisation verliefen. Sie transportieren Industriegase, die zur Herstellung von Kunststoffen verwendet werden. Welches Gas es genau war, ist weiter unklar. Lokale Petrochemie-Firmen weisen jegliche Verantwortung für die Katastrophe zurück.

Trümmerfelder wie in einem Kriegsgebiet

Als der Morgen über der Industriestadt graute, in der knapp drei Millionen Menschen wohnen, wurde das Ausmaß der Schäden ersichtlich. Mehrere Straßenzüge in der Nähe des Rathauses und von beliebten Nachtmärkten liegen in Trümmern, in einem Gebiet von bis zu drei Quadratkilometern Größe. Es sieht aus wie im Krieg. Durch die Wucht der Explosionen waren Autos wie Spielzeug durch die Luft geflogen, auf ihrem Dach gelandet, manche gar mehrere Stockwerke über dem Boden auf Häusern. „Die Straßen fielen plötzlich zusammen“, erzählt eine Augenzeugin im Fernsehen. „Wir haben versucht, Verschüttete herauszuziehen. Sie haben in den Kratern geschrien und geweint.“

Unter den Opfern sind auch vier Feuerwehrleute. Selbst schwere Einsatzfahrzeuge wurden umhergeschleudert oder verschüttet. Die Rettungskräfte waren zum späteren Unglücksort geeilt, weil Anwohner drei Stunden vor den tödlichen Explosionen Gasgeruch gemeldet hatten. „Ich habe mit meiner Familie sofort die Gegend verlassen“, sagt ein Familienvater. Andere berichten, sie hätten beobachtet, wie aus den Abwasserkanälen im betroffenen Stadtteil Cianjhen weißer Schaum aufstieg. Spätestens nach den Explosionen, die die Häuser wie ein Erdbeben schüttelten, flohen viele in Panik aus ihren Häusern.

Im Einsatz sind 1600 Feuerwehrleute und Soldaten

1600 Soldaten und Feuerwehrleute suchen nach weiteren Opfern. Begleitet werden sie von Spezialisten, die prüfen, ob weiter Gas austritt und möglicherweise die Bergung gefährdet. Die Gefahr sei nicht gebannt, sagte am frühen Abend der Sprengstoffexperte Hong Zhiqiang dem chinesischen Sender CCTV. „Überall könnte noch Gas sein.“ Er warnt: „Bei der Suche nach Opfern können die Helfer versehentlich weitere Explosionen auslösen.“ Nach Angaben der Behörden ist die Temperatur in einem Gaslager in der Nähe weiter erhöht.

Mehr als 1000 Anwohner mussten die Gegend verlassen. Mehrere Zehntausend Familien sind bei brütend heißen Temperaturen ohne Wasser, Gas oder Strom. Die Bürgermeisterin von Kaohsiung, Chen Chu, appellierte an den Präsidenten Ma Ying-jeou und das Wirtschaftsministerium, das Netzwerk von petrochemischen Pipelines unter Kaohsiung neu zu arrangieren. Sie erinnerte an eine ähnliche Gasexplosion in Kaohsiung 1997, bei der es ebenfalls Tote gab. Nach Angaben von deutschen Feuerwehrexperten wären unterirdische Industriegas-Pipelines wie in Kaohsiung in Deutschland niemals in der Nähe von Wohnhäusern genehmigt worden.