Die Gebäudesanierung spart oft weniger Energie ein als erhofft. Darunter leidet auch die Klimabilanz. Studien machen die Ursache dafür bei den wenig energiebewussten Bewohnern aus.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - In der Theorie klingt es, als wäre es leicht, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Das Haus oder die Wohnung energetisch auf Vordermann zu bringen und im Gegenzug für diese Investition den Energieverbrauch zu senken, das Klima zu entlasten und mittelfristig damit auch den eigenen Geldbeutel zu schonen. Doch in der Praxis häufen sich bei diesem Thema in jüngster Zeit die schlechten Nachrichten für die Bundesregierung. Der Grund: Nicht selten schlagen Dämmung, neue Fenster, neue Heizungssysteme und andere technische Nachrüstungsmaßnahmen deutlich weniger auf den Energieverbrauch durch, als es erwartet wurde. Das haben jedenfalls mehrere Studien ergeben.

 

Eine dieser Untersuchungen wurde in Karlsruhe gemacht. Dort haben die Bauherren in einem Sanierungsgebiet eigentlich alles richtig angepackt. Bevor sie mit der Sanierung von insgesamt 800 Wohneinheiten begonnen haben, ließen sie sich von Experten der Technischen Hochschule Aachen durchrechnen, welche Sparpotenziale verschiedene Sanierungsmodelle erbringen würden. An drei baugleichen Gebäuderiegeln wurden drei Konzepte schließlich erprobt. In einer Häuserreihe gab es, grob gesprochen, nur eine Sanierung mit Standarddämmplatten sowie Anschluss ans Fernwärmenetz. Das zweite Gebäude wurde als Drei-Liter-Haus saniert, der dritte Teil wurde mit Hilfe komplexer Technologie zum Passivhaus umgerüstet.

Die Bewohner vermasseln die Energiesparbilanz

Das Ergebnis, das gestützt auf Millionen Messdaten und Befragungen der Bewohner ermittelt wurde, ist ernüchternd. Zwar sank nach der Modernisierung der Energieverbrauch in allen drei Gebäuden. Aber überall war er deutlich höher, als der für die Zeit nach der Modernisierung errechnete Energiebedarf. „Je ausgefallener die anlagentechnische und baukonstruktive Sanierung ausgeführt wurde, umso größer fällt die Abweichung aus“, heißt es in einem Bericht über das vom Bundeswirtschaftsministerium finanzierte Forschungsprojekt. „Die geringsten Differenzen gibt es im ersten Gebäuderiegel, den größten Unterschied beim Forschungs-Gebäuderiegel 3.“

In etwas netteren Worten kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass es die Bewohner sind, die die Energiesparbilanz vermasselt haben: Die einen lüfteten falsch oder gar nicht mit der eingebauten Lüftungsanlage. Andere nutzten die neue Technik nach altem Schema – indem sie etwa den neuen Warmwasserhahn stets auf die altgewohnte Position drehten. Wieder andere empfanden die Atmosphäre mit der neuen Luftheizung als weniger behaglich und erhöhten die Raumtemperatur. Die Nutzer erwiesen sich dabei als ziemlich erfinderisch, die technische Verbesserung der Energieeffizienz durch Verhaltensänderungen zu konterkarieren.

Der Faktor Mensch muss einkalkuliert werden

Die Wissenschaftler bezeichnen dies als „Rebound-Effekt“. Ihr Fazit: „Die Steigerung der Energieeffizienz im Gebäudesektor führt alleine nicht notwendigerweise zur Minderung des Gesamtenergieverbrauchs. Es sind ergänzende Maßnahmen erforderlich.“ Sie fordern darüber hinaus, Konsequenzen für die Berechnung der zu erwartenden Energieeinsparung zu ziehen. „Planer und Architekten müssen zukünftig eine Reduzierung der theoretisch zu erwartenden Energieeinsparung durch die Performanz-Lücke und den Rebound-Effekt bei der Planung berücksichtigen.“ Im Klartext heißt das: der Faktor Mensch muss stärker einkalkuliert werden.

Das ist nicht nur für Eigenheimbesitzer und die Immobilienbranche eine wichtige Information für ihre Kalkulationen. Es könnte auch die Rechnungen der Bundesregierung für den Klimaschutz durcheinander bringen. Denn sie baut felsenfest darauf, dass in den 18 Millionen Wohngebäuden des Landes ein gewaltiges Klimaschutz- und Energiesparpotenzial schlummert. Bisher entfallen fast vierzig Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland auf Heizung und Warmwasser. Bis 2050 soll der Energieverbrauch in diesem Sektor um 80 Prozent gesenkt werden; dies ist im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz dargelegt. Gelänge das, wäre der Gebäudebestand nahezu klimaneutral. Aber ob es gelingt?

Auch Clemens Felsmann, Spezialist für Gebäudeenergietechnik an der Technischen Universität Dresden, hat in der größten deutschen Studie über die „Auswirkungen der verbrauchsabhängigen Abrechnung in Abhängigkeit von der energetischen Gebäudequalität“ den Rebound-Effekt nachgewiesen. Sein Institut hat anonymisierte Messdaten von insgesamt 3,3 Millionen Wohnungen analysiert, die die Arbeitsgemeinschaft Heiz- und Wasserkostenverteilung zur Verfügung gestellt hat. Auch dieser Studie zufolge „verbrauchen energetisch optimierte Wohngebäude häufig viel mehr Wärmeenergie, als nach den Vorgaben der Energieeinsparverordnung berechnet wurde“.

In sanierten Bauten wächst der Hang zur Verschwendung

Die alte Hypothese, dass dies vor allem an Baumängeln liege, hat sich nicht bestätigt. Auch Professor Felsmann sieht laut einem Bericht des Bundesbaublatts über seine Studie das Nutzerverhalten als „entscheidenden Grund für den erhöhten Verbrauch“. Mehr noch: In wärmegedämmten Gebäuden verschwenden nach seinen Beobachtungen die Nutzer deutlich mehr Energie als in ungedämmten Häusern und Wohnungen. Je besser der energetische Zustand der Gebäudehülle ist, desto weniger kümmere die Bewohner ihr Umgang mit der Wärme. Bewohner von Altbauten hingegen verhielten sich relativ sparsam.

Im Umweltministerium ist bekannt, dass „die Verschwendungsneigung der Mieter bei verbessertem baulichem Wärmeschutz und sinkendem Energiebedarf steigen kann“. Quantifizieren lasse sich das jedoch noch nicht, sagt ein Sprecher. Bisher sehe das Ministerium keinen Grund, seine Berechnungen der Klimaeffekte zu aktualisieren. Allerdings legt das Ministerium 2016 den ersten jährlichen Klimaschutzbericht vor, bei dem die Umsetzung des vor kurzem beschlossenen Aktionsprogramms begutachtet wird. Davon sind die ersten Hinweise zu erwarten, ob der menschliche Faktor die Klimabilanz im Gebäudesektor verhagelt.