Immer häufiger werden Kinder per Kaiserschnitt geboren. Ärzte raten werdenden Müttern jedoch, auf natürlichem Weg zu gebären – sofern das medizinisch möglich ist. Denn ein Kaiserschnitt birgt Risiken für Mutter und Kind.

Stuttgart - Jedes dritte Neugeborene kommt inzwischen mit Kaiserschnitt auf die Welt. Nur in etwa drei Prozent der Fälle geschieht dies auf Wunsch der Mutter. „Oftmals wird einfach sicherheitshalber ein Kaiserschnitt durchgeführt“, sagt der Geburtshelfer und Gynäkologe Frank Reister vom Universitätsklinikum Ulm. Bei dieser Entwicklung seien jedoch die Folgen des Kaiserschnitts für das Kind lange Zeit vernachlässigt worden, bemängelt der Gynäkologe Frank Louwen, der die Geburtshilfeabteilung der Universitäts-Frauenklinik Frankfurt am Main leitet. „Mitunter entstand in der Vergangenheit für die Mütter sogar der Eindruck, das Kind profitiere von einem Kaiserschnitt“, sagt Louwen.

 

Doch Reister und Louwen sehen Risiken. Neugeborene, die mit Kaiserschnitt auf die Welt gekommen sind, haben zum Beispiel eine leicht erhöhte Krankheitsrate im Vergleich zu natürlich geborenen Kindern. Erhöht ist das Risiko für Krankheiten, die mit dem Immunsystem zusammenhängen: etwa Asthma und Allergien. Ein im „American Journal of Obstetrics and Gynecology“ erschienene Überblicksstudie der kanadischen Forscher Clara Cho und Mikael Norman hat diese Erkenntnisse für einzelne Autoimmunerkrankungen geprüft und bestätigt. Darüber, wie sich ein Kaiserschnitt langfristig auf das Immunsystem auswirkt, ist noch wenig bekannt. Cho und Norman haben jedoch für die kurzfristigen Effekte festgestellt, dass sich nach einem Kaiserschnitt für das Kind ein um 20 Prozent erhöhtes Risiko ergab, Asthma zu entwickeln. Auch das Risiko für Typ-1-Diabetes, ebenfalls eine Autoimmunerkrankung, war ähnlich erhöht.

Die Rolle der Keime ist noch nicht entschlüsselt

Die Langzeitstudie namens Babydiab, die den Einfluss von Umweltfaktoren auf die Entwicklung von Typ-1-Diabetes untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass nach einem Kaiserschnitt doppelt so viele Kinder aus Diabetiker-Familien an Typ-1-Diabetes erkranken wie nach einer natürlichen Entbindung. Ein Kaiserschnitt beeinflusst dabei den Verlauf der Erkrankung, wenn erste Autoantikörper aufgetreten sind. Für Babydiab wurden unter Leitung von Anette-Gabriele Ziegler von der Forschungsgruppe Diabetes der Technischen Universität München 1650 Kinder mit erhöhtem familiären Risiko für Typ-1-Diabetes durchschnittlich elf Jahre lang beobachtet.

Wie es zu den Erkrankungen kommt, ist noch nicht aufgeklärt. Es wird aber vermutet, dass die frühzeitige Keimbesiedelung eine Rolle spielt. Bis zur Geburt sind sämtliche Schleimhäute des Fötus keimfrei. „Wenn das Kind aus der Sterilität der Gebärmutter heraus geboren wird, kommt es mit ganz anderen Keimen in Berührung, als wenn es natürlich geboren wird“, sagt Louwen. Das können zum Beispiel Keime aus der Krankenhausluft sein. Während der Passage durch den mütterlichen Geburtskanal nimmt es normalerweise Keime der mütterlichen Darmflora auf, etwa Bifidobakterien. Kinder, die dagegen per Kaiserschnitt auf die Welt kommen, beherbergen in ihrem Darm weniger dieser Bifidobakterien als natürlich geborene Kinder. Ihre Darmflora ist fehlbesiedelt. Sie ähnelt, wie Ziegler gegenüber der „Ärztezeitung“ sagte, somit der gestörten Darmflora von Diabetikern.„Über diese immunologischen Risiken müssen die Frauen vorab aufgeklärt werden“, fordert Louwen.

Es gibt Situationen, in denen ein Kaiserschnitt ein Muss ist. Leidet die Mutter zum Beispiel während der Schwangerschaft an Schwangerschaftsdiabetes, der nicht optimal behandelbar ist, werden die Kinder unverhältnismäßig groß. Manchmal sind sie zu groß, um problemlos durch den Geburtskanal zu gelangen. Bei einer Beckenendlage, bei der Beine oder Steiß vorangehen, ist ein Kaiserschnitt hingegen nicht unbedingt nötig. „Wenn das Ärzteteam in der Klinik erfahren ist, kommen auch diese Kinder auf natürlichem Weg problemlos auf die Welt“, so Louwen. Es können aber auch während der Entbindung Komplikationen auftreten, die eine natürliche Geburt infrage stellen: beispielsweise kann die Herzfrequenz abfallen. Das kann – muss aber nicht – ein Hinweis auf einen Sauerstoffmangel sein. „Ein derartiges Ereignis bedeutet jedoch nicht automatisch Kaiserschnitt, sondern dass man schnellstens abklären muss, was die Ursache ist“, sagt Louwen. Ein etwaiger Sauerstoffmangel während der Geburt kann Entwicklungsstörungen und motorische Störungen nach sich ziehen.

Erhöhtes Risiko für Thrombosen bei der Mutter

Neben den Risiken für Autoimmunerkrankungen werden in der Medizin die Rolle der Stresshormone diskutiert. „Dadurch, dass das Ungeborene beim geplanten Kaiserschnitt null Geburtsstress erlebt, werden keine Stresshormone ausgeschüttet, die den kindlichen Stoffwechsel aktivieren“, sagt Frank Reister. „Deshalb haben Kaiserschnittkinder häufiger als normal geborene Kinder verschiedene Anpassungsstörungen.“ Die Atmung, die Wärmeregulation, der Stoffwechsel und der Kreislauf können vorübergehend beeinträchtigt sein. Und da sich der Säugling nicht durch den Geburtskanal zwängen muss, kann das Fruchtwasser nur ungenügend aus der Lunge gepresst werden. Deshalb ist das Risiko erhöht, dass er zunächst abgesaugt und beatmet werden muss.

Auch für die Mutter ist ein Kaiserschnitt „kein Spaziergang“, wie es der Gynäkologe Louwen formuliert. Nach dem Kaiserschnitt ist zum Beispiel das Risiko für Thrombosen und Lungenembolien erhöht. Deutlich häufiger als nach einer natürlichen Geburt muss die Gebärmutter entfernt werden oder es sind kontraktionsfördernde Medikamente nötig, so dass sich die Gebärmutter zurückbilden kann. Weiterhin kann die Stillphase gestört sein, wenn das Hormon Oxytocin, das für das Stillen, aber auch für die Bindung zwischen Mutter und Kind notwendig ist, nicht ausreichend ausgeschüttet wird. Das Risiko eines Oxytocinmangels ist insbesondere bei geplanten Kaiserschnitten stark erhöht, weil hier ein natürlicher Geburtsbeginn komplett fehlt. „Das Kind gibt eigentlich der Mutter das Signal zur Geburt, bestimmt damit den Wehenbeginn“, sagt Reister.

Wenn eine Frau sich mehr als ein Kind wünscht, kann eine Folgeschwangerschaft nach einem ersten Kaiserschnitt ein Problem sein. So kann bei einer erneuten Schwangerschaft die Narbe in der Gebärmutter unter den nächsten Wehen platzen, der Mutterkuchen (Plazenta) bildet sich häufiger vor dem Ausgang der Gebärmutter, oder er verwächst mit der Muskulatur der Gebärmutter. „Wir raten von einem Kaiserschnitt ab, wenn keine medizinische Indikation besteht“, sagt Louwen, „und wir fordern, dass werdende Mütter aufgeklärt werden über das durch den Kaiserschnitt bedingte erhöhte Risiko des Kindes für Kurzzeit- und Langzeiterkrankungsfolgen.“

Für Mutter und Kind ist ein Kaiserschnitt nach Meinung beider Experten nur die zweitbeste Lösung. „Aber die zweitbeste Lösung“, so Reister, „muss nicht in jedem Fall schlecht sein.“

Optionen zur schmerzfreien Geburt und ihre Risiken

Periduralanästhesie
Ist der Muttermund bereits fünf Zentimeter geöffnet, wird ein Katheter in die Nähe des Rückenmarks gelegt und ein schmerzstillendes Medikament zwischen die beiden äußeren Hüllen (Periduralraum) des Rückenmarkkanals eingespritzt. Da der Katheter an Ort und Stelle verbleibt, kann im Verlauf der Geburt nach Bedarf das Medikament erneut eingeleitet werden. Bei einem sich während der Geburt ergebenden Kaiserschnitt kann die Dosis so weit erhöht werden, dass keine weitere Narkose mehr notwendig ist. Die gebärende Frau ist während der Geburt wach. Allerdings kann die PDA die Wehen verlängern. Mögliche Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, selten Infektionen an der Einstichstelle und Schädigung des Rückenmarks durch Einblutung.

Spinalanästhesie
Ein Schmerzmittel wird direkt in den Wirbelkörperkanal (Spinalkanal) im Bereich der Lendenwirbelsäule (auf Höhe des dritten und vierten Lendenwirbels) gespritzt und die Nadel danach wieder entfernt. Diese Höhe wird gewählt, um eine Verletzung des Rückenmarks auszuschließen, das auf Höhe des ersten bis zweiten Lendenwirbels endet. Die Wirkung tritt sehr schnell ein, weswegen die Spinalanästhesie auch noch in der Endphase einer Geburt oder bei einem Notkaiserschnitt durchführbar ist. Mögliche Komplikationen: Blutdruckschwankungen, Übelkeit, Erbrechen, Rückenschmerzen; in seltenen Fällen Infektionen und Blutungen.

Pudendusblock
Diese Methode, welche die Schmerzen nur lindert, wird nur noch selten eingesetzt. Ein Betäubungsmittel wird in den Bereich des Sitzhöckers gespritzt. So ist die Schmerzweiterleitung im Dammgewebe und dem äußerem Genital geblockt. Es wirkt bei einem Großteil der Schwangeren nur einseitig.