Der Dirigent, Festivalleiter und Staatstheaterintendant Wolfgang Gönnenwein war lange JahreSupergeneralmusikdirektor von Baden-Württemberg – nun wird er achtzig Jahre alt.

Stuttgart - Bönnheim war ehrgeizig, kontaktfreudig und sowenig wie Specht von puristischen Zweifeln geplagt, wenn es um die Abgrenzung seines Faches zu anderen Lebensbereichen ging. Er liebte das Spiel mit der Macht und vermaß die kulturelle terra incognita mit der derselben fantasievollen Unbekümmertheit wie ein mittelalterlicher Kartograf Westindien.“

 

Man muss eine schillernde Figur sein, um zu einer markanten Nebenfigur in einem Schlüsselroman zu werden. In Manfred Zachs Buch „Monrepos oder Die Kälte der Macht“, das nach seinem Erscheinen 1996 einiges Aufsehen erregte, weil es Baden-Württembergs politische Klasse krass zeichnete, war in der umtriebigen Figur des Bönnheim für alle leicht Wolfgang Gönnenwein zu erkennen. Dick pinselt der Autor das Bild von Bönnheim/Gönnenwein als „einem gelernten Musiklehrer, der es zum Hochschulrektor und Festspielleiter gebracht hatte“, der dem anfangs erwähnten Ministerpräsidenten Specht alias Lothar Späth kunstpolitisch zur Seite steht. Und wäre Gönnenweins Karriere realiter nicht lange Jahre ohne markante Schlagzeilen verlaufen, in solider, schwäbisch-redlicher Weise – man könnte glauben, es tatsächlich mit einer romanhaften Kumpanei- und Geschäftemacherfigur zu tun zu haben.

Als Wolfgang Gönnenwein aus Schwäbisch Hall sich für einen Beruf entscheiden musste, schwankte er zwischen Elektriker und Musiker. Er entschied sich gegen den Strom und für Bach und all die anderen Komponisten, die für die Stimme geschrieben haben. Denn in diesem Landstrich ist man als Musiker meist Sänger oder Chorleiter. Gönnenwein war immer gegen übertriebene Bescheidenheit und wollte früh viel erreichen. Nach dem Musikstudium war er zunächst Musiklehrer, übernahm als 26-Jähriger die Leitung des Süddeutschen Madrigalchores und wurde 1968 Professor für Chorleitung an der Stuttgarter Musikhochschule. Nun ging es Schlag auf Schlag.

Der Musiker und der Ministerpräsident

1972 übertrug man ihm die Ludwigsburger Schlossfestspiele, wo er Akzente setzte mit einem (auch auf Platten festgehaltenen) Mozart-Zyklus’ in deutscher Sprache, dem Einsatz für frühe Verdi-Opern. Ein Jahr später wurde er Rektor der Musikhochschule (bis 1982). Zwangsläufig begegneten sich in dieser Zeit der Musiker und der Ministerpräsident.

Späth wollte dem alten Rivalen Bayern zeigen, dass in Baden-Württemberg neben der Wirtschaft auch die Kultur konkurrenzfähig ist. Im agilen und leicht zu begeisternden Gönnenwein hatte er seinen Partner gefunden, um von großen Kulturtaten für das Land und die Landeshauptstadt zu träumen. Der Ausbau der Musikhochschule wurde vorangetrieben, 1985 setzte Späth ihn als Generalintendanten der Stuttgarter Staatstheater durch – eine für viele überraschende Entscheidung, ebenso wie 1988 Gönnenweins Berufung zum Staatsrat ehrenhalber mit Ministerrang im Kabinett.

Später räumte Gönnenwein ein: „Einen Fehler habe ich wirklich gemacht: ich bin Staatsrat geworden“. Das „wirklich“ bezieht sich auf das, was folgte. Künstlerisch lag der Generalintendant nicht völlig falsch, er berief interessante Regisseure – Robert Wilson, Axel Manthey –, doch der Theateralltag hielt nicht, was er versprach. Der Generalintendant war wenig präsent Haus: Gönnenwein, der Dirigent, blieb ebenso aktiv zwischen Tokio, Moskau und Ludwigsburg wie der Kulturbotschafter im Namen des Ministerpräsidenten. Als Theaterchef wollte er glänzen, indem er Geld für Stars und Produktionen ausgab, das er nicht hatte, teuer waren viele Schließtage.

Die Bugwelle wurde er nie los

1992 trat er zurück, die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen „Veruntreuung öffentlicher Gelder“. Die Verfahren gingen glimpflich für Gönnenwein aus, wurde ihm aber publizistisch zum Verhängnis. Das Staatstheater hatte er einen „nahezu manövrierunfähigen Ozeandampfer“ genannt, und als er wegen des Defizits angeklagt wurde, sagte: „Wir haben da so eine Bugwelle vor uns hergeschoben“. Die „Bugwelle“ wurde er nie richtig los.

Im Rückblick bekommen die zwei Jahrzehnte erstaunlichen Aufstiegs und erkaltenden Abstiegs beinahe etwas Operettenhaftes. Ähnlich verlief sein Engagement als künstlerischer Leiter des Festspielhauses Baden-Baden, das 1998 eröffnet wurde. Mit alten Verbindungen und viel Zuversicht stellte er ein enormes Programm auf, war nach einem Jahr Pleite – und des Postens ledig. Die Richtung stimmt meist bei ihm, dann scheint Gönnenwein die Puste auszugehen für den harten Alltag, das Rechnen, die graue Planung, das Tagesgeschäft. Dabei meinte Joachim Kaiser, der von Gönnenwein nach Stuttgart an die Musikhochschule geholt worden war: „Unter ihm machen sogar Senatssitzungen Spaß.“

Aber Ozeandampfer und Festivaltanker brauchen Kapitäne für lange Fahrten. Gönnenwein wechselt lieber das Boot, wenn es nicht vorangeht. 2004 gab er nicht ganz freiwillig die Leitung der Ludwigsburger Schlossfestspiele auf. Doch ohne Amt – das ging nicht, von 2005 bis 2011 war er Präsident des Landesmusikrats Baden-Württemberg. Heute wird der ruhiger gewordene Wolfgang Gönnenwein achtzig.