20 Jahre nach dem Massaker von Srebrenica trauern bosnische Muslime weiter um ihre ermordeten Angehörigen. Und nicht wenige zeigen blanke Wut – vor allem auf Serbiens Premier Aleksandar Vucic, der bei einer Gedenkfeier mit Steinen beworfen wird.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Srebrenica - Mehr als 60 000 Menschen hatten sich zum 20. Jahrestag des Massakers von Srebrenica in die ostbosnische Kleinstadt aufgemacht, um an der Beisetzung der Überreste von neu identifizierten 136 Opfern teilzunehmen. Manche Trauergäste wollten einem umstrittenen Gast jedoch nichts vergeben und vergessen: Ein großes Tuch konfrontierte Serbiens Premier Aleksandar Vucic schon bei seinem schweren Gang auf den Gedenkfriedhof von Potocari mit einem 20 Jahre alten Zitat. „Für jeden toten Serben werden wir 100 Muslims töten“, hatte der damals 24 Jahre alte Vucic kurz nach dem Massaker in der bosnischen Muslim-Enklave im Juli 1995 in Serbiens Parlament erklärt.  

 

Erst erschallten Pfiffe und wüste „Tötet ihn!“-Verwünschungen, als der mittlerweile vom Ultranationalisten zum Pro-Europäer mutierte Vucic vor dem Gedenkstein für die 8732 Opfer des Massenmords einen Kranz niederlegte. Dann flogen Schuhe, Wasserflaschen – und Steine. Einer traf Serbiens Premier am Kopf. Nur mit Mühe konnten seine Leibwächter ihn vor dem wütenden Mob in Sicherheit bringen.

„Attentat auf Vucic in Srebrenica!“, titelte tags drauf das serbische Boulevard-Blatt „Kurir“. „Sie versuchten Vucic zu töten!“, vermeldete ebenso aufgebracht die Belgrader Gazette „Alo!“.   Vucic selbst mühte sich nach der überstürzten Flucht, kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Er wisse, dass die Mehrheit der muslimischen Bosniaken mit der „organisierten“ Attacke auf ihn nichts gemein habe, versicherte der Regierungschef: „Jede Nation hat ihre Idioten, wir haben an ihnen auch keinen Mangel. Unsere Hand der Versöhnung gegenüber den Bosniaken bleibt ausgestreckt.“

Fußballhooligans verantwortlich gemacht

Doch nicht nur die Brille des Premiers ging bei den schon im Vorfeld von heftigen politischen Turbulenzen überschatten Feiern zum 20. Jahrestag des von bosnisch-serbischen Truppen begangenen Genozids zu Bruch. Das wochenlange Hickhack um eine von Serbien abgelehnte und mit Hilfe Russlands verhinderte UN-Resolution zu Srebrenica hatte die Atmosphäre genauso vergiftet wie das Tauziehen um den in der Schweiz zeitweise verhafteten muslimischen Srebrenica-Kommandanten Naser Oric oder das bizarre Verbot einer Trauerkundgebung für die Srebrenica-Opfer in Serbiens Hauptstadt Belgrad. Vucic hätte vorab seine Aussagen zu der UN-Resolution „mäßigen“ müssen, sagte Hatidza Mehmedovic von der Opfer-Organisation „Die Mütter von Srebrenica“ und machte damit auch dessen Negierung des Völkermords für die aufgeheizte Stimmung verantwortlich. Die Ablehnung der UN-Resolution sei ein weiterer Tropfen „in die offenen Wunden der Opfer“ gewesen.

„Der Angriff auf Vucic war kein Angriff auf ihn, sondern auf die Opfer – und die Würde von uns allen“, erklärte hingegen unter Tränen Munira Subasic, die Vorsitzende des Verbands. Für die Attacken auf Serbiens Premier seien keineswegs Anwohner oder Angehörige der Opfer, sondern Fußballhooligans auch aus Serbiens muslimisch besiedelten Sandzak verantwortlich gewesen, versicherte Srebrenicas entgeisterter Bürgermeister Camil Djurakovic. Niemals hätte er geglaubt, dass dies in Srebrenica möglich wäre, schließlich habe es beim Besuch von Serbiens früheren Präsident Boris Tadic auch keine Probleme gegeben: „Die Gewalttäter haben die Würde der Toten und dieses Ortes befleckt“, urteilte Djurakovic.