Die Lage im Krisenland Venezuela ist dramatisch, gerade auch in den Gefängnissen. In einer abgelegenen Anstalt in der Amazonasregion sterben Dutzende Häftlinge. Der Gouverneur spricht von einem Massaker.

Puerto Ayacucho - Bei der Erstürmung eines Gefängnisses durch Polizei- und Militäreinheiten sind in Venezuela 37 Häftlinge getötet worden. Das teilte der Gouverneur des Bundesstaates Amazonas, Liborio Guarulla, der Deutschen Presse-Agentur mit. Zu der Eskalation kam es am Mittwoch (Ortszeit) in der Amazonasstadt Puerto Ayacucho, als das Gefängnis von schwer bewaffneten Sicherheitskräften gestürmt wurde, um den Inhaftierten Waffen abzunehmen, die hineingeschmuggelt worden waren. Gouverneur Guarulla kritisierte den Einsatz scharf und sprach von einem „Massaker“. Zeugen berichteten von wilden Schießereien.

 

Puerto Ayacucho liegt am Orinoco im Regenwaldgebiet an der Grenze zu Kolumbien, 700 Kilometer südlich der Hauptstadt Caracas. Die Tragödie ereignete sich mitten in einer der dramatischsten Krisen des Landes. Dem sozialistischen Staatschef Nicolás Maduro wird die Errichtung einer Diktatur vorgeworfen, überall gärt es. Die Sicherheitslage im Land mit den größten Ölreserven der Welt ist extrem angespannt, die Lage in den Gefängnissen auch wegen der Versorgungskrise katastrophal. Viele Häftlinge sind abgemagert, zuletzt kam es gehäuft zu Aufständen. Im April starben in Barcelona an der Karibikküste zwölf Menschen.

Vor der Anstalt waren dutzende wütende Angehörige zu sehen, die Informationen verlangten. Die Generalstaatsanwaltschaft Venezuelas teilte mit, es habe neben den 37 toten Häftlingen auch 14 Verletzte unter den Sicherheitskräften gegeben. Laut Zeugenberichten kam es bei der Erstürmung zu wilden Schießereien. 61 überlebende Insassen wurden in Militäreinrichtungen gebracht, vier verletzte Häftlinge kamen in ein Krankenhaus, einem gelang die Flucht. Nach Angaben Guarullas waren 103 Personen inhaftiert - es ist eine Einrichtung für Personen in Untersuchungshaft, die auf ihren Prozess warten, sagte Guarulla.

Jahrelange Misswirtschaft und gesunkene Öleinnahmen

Vor einem Jahr war Guarulla zufolge in dem Gefängnis ein inhaftierter Kämpfer der kolumbianischen ELN-Guerilla („Ejército de Liberación Nacional“) gestorben. Die Guerillagruppe, die vor allem im kolumbianisch-venezolanischen Grenzgebiet aktiv ist, habe seinen Tod rächen wollen. „Die Inhaftierten haben sich bewaffnet, um für eine Aktion der Guerilla gewappnet zu sein.“ Die Behörden hätten daraufhin ihre Entwaffnung angekündigt. Das habe zu der Erstürmung geführt.

Guarulla ist indigener Abstammung und gehört der Partei Movimiento Progresista de Venezuela an, die zum Oppositionsbündnis „Mesa de la Unidad Democrática“ (MUD) gehört. Der MUD wirft Maduro die Abschaffung der Demokratie vor, mehrere Oppositionspolitiker wurden in den letzten Wochen ihrer Ämter enthoben, vor allem Bürgermeister. Guarulla kritisierte die Regierung wiederholt als „rotes Regime“.

Wegen jahrelanger Misswirtschaft und der gesunkenen Öleinnahmen steht Venezuela am Rande des Ruins. 95 Prozent der Exporteinnahmen kommen aus dem Ölverkauf. Wegen der höchsten Inflation der Welt wird der Import von Lebensmitteln, die in Dollar und Euro zu bezahlen sind, immer schwieriger. Überall gibt es Schlangen vor Supermärkten, deren Regale oft leer sind. Bäckereien fehlt oft sogar Mehl zum Backen, da auch die heimische Landwirtschaft in vielen Regionen daniederliegt.

Es gibt sogar Berichte, dass Zootiere wie Wildschweine und Pferde aus Gehegen gestohlen werden, um ihr Fleisch zu verzehren. Laut einer Studie haben 75 Prozent der Venezolaner seit 2014 mehrere Kilo an Gewicht verloren - die Gefängnisse sind ein Spiegelbild der Krise. Venezuela leidet seit Jahren unter sehr hohen Mordraten und Gewalt.

Bei Protesten und Unruhen kamen seit Anfang April über 120 Menschen in Venezuela ums Leben. Seit Monaten versuchen die Sicherheitskräfte, Proteste gewaltsam zu unterdrücken. Eine von Maduro eingesetzte Verfassungsgebende Versammlung, die als übergeordnetes Staatsorgan das von der Opposition dominierte Parlament entmachtet hat, berät über neue Höchststrafen - demnach könnten für schwere Verbrechen und „Vaterlandsverrat“ künftig bis zu 50 Jahre Gefängnis drohen.