Ein tänzerisch, gesanglich und technisch überzeugender Ausflug in die Hippie-Zeit reißt die Besucher bei den ersten Aufführungen von den Sitzen. Bis in den September hinein gibt es noch mindestens sieben weitere „Hair“-Vorstellungen

Region: Andreas Pflüger (eas)

Geislingen - Vom ersten Moment an ist für Gänsehaut gesorgt. Und das liegt nicht an den frostigen Temperaturen, die bei den ersten Vorstellungen im Theater im Geislinger Sägewerk herrschen, sondern an der Stimme von Stefanie Martin, die bei „Aquarius“ gleich die richtigen Töne trifft. Gut zwei Stunden lang tauchen die Besucher des Musicals „Hair“ ein – in die Zeit der Hippies, die sich auflehnen gegen die Konventionen der amerikanischen Gesellschaft und die das Establishment nicht nur mit ihren langen Mähnen schocken.

 

Die New Stage Company von Torsten Moll hat sich des fast 50 Jahre alten Stücks angenommen – und daraus eine moderne Aufführung gemacht, die dem Zeitgeist und dem ursprünglichen Charakter der Show dennoch genügend Raum lässt. Allzu weit hergeholt sind die Bezüge ohnehin nicht, was damals der Vietnamkrieg war, sind heute die Kämpfe in Syrien. Die Welt zu Beginn der 21. Jahrhunderts ist mindestens ebenso aus den Fugen geraten wie in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren.

Jung und Alt leben die „Hippe-Stimmung“

Genau dagegen wehren sich die Blumenkinder, mit einem bis dato nicht gekannten Lebensgefühl, mit Rebellion, aber eben auch mit viel Charme. Exakt diesen transportieren die Akteure des Musical Colleges von Torsten Moll in einer Form, die das Publikum im wahrsten Sinne des Wortes von den Sitzen reißt. Lediglich zwei „Fremde“ wurden für die zweite Produktion alten Sägewerk verpflichtet: Stephanie Tschöppe, die als Vocal Coach für den gesanglichen Feinschliff sowie für die musikalische Leitung verantwortlich zeichnet, und Kevin Thiel, der die Rolle des George Berger spielt.

Von Fremdeln ist bei dem Wahl-Hamburger jedoch nichts zu spüren: „Ich muss offen zugeben, dass ich zunächst ein bisschen skeptisch war, alleine in ein festes Ensemble zu kommen. Aber das ist ein super Team, das immer weiter kommen will“, lobt er seine Mitstreiter. In der Tat sind die Unterschiede zwischen den fertig ausgebildeten Darstellern und Molls Schulnovizen bei alldem, was auf der Bühne abgeht, kaum auszumachen.

Wiebke Dobbehaus etwa ist erst vor drei Monaten aus Osnabrück an die Musicalschule im Schwäbischen gekommen. Dass sie in „Hair“ gleich die Rolle der Sheila bekommen hat, nennt sie selbst „einen Glücksfall“. Doch so ganz stimmt das natürlich nicht: Die 26-Jährige hat’s einfach drauf. Dass es vor allem „die gute Mischung ausmacht“, betont Dean Mihaljev, der als Claude Bukowski agiert, aber eben auch als Dance Captain, als Kostüm- und Bühnenbildner – kurz: als rechte Hand von Torsten Moll. „Ich bin wirklich überwältigt von dem, was hier entstanden ist. Die ganze Truppe lebt diese Hippie-Stimmung, obwohl sie niemand selbst erlebt hat“, sagt Mihaljev. Egal ob jung oder alt, ob Profi oder Amateur, alle wollten auf das gleiche Level, ergänzt er.

Die Truppe „lässt alles raus“

Apropos jung und alt: gerade die hohe Qualität und das perfekte Zusammenspiel der Akteure sorgt für das spezielle Flair der Geislinger Performance. Simon Vollmer, der bereits am Stuttgarter Apollo-Theater den jungen Tarzan gegeben hat und das Nesthäkchen des Ensembles ist, überzeugt nicht nur in seiner slapstickhaften Einlage als „Professor“. Unumwunden räumt der 14-Jährige ein, „dass diese Rolle schwierig und das Stück etwas völlig anderes ist“. Es zeige die bittere Realität einer Zeit, über die er viel gelernt habe, fügt er hinzu. Für Walter Miller, mit 55 Jahren der Senior der Truppe und im wirklichen Leben als Hufschmied tätig, hat sich, wie er sagt, „ein Traum erfüllt“. Er tanze gerne, habe die Chance bekommen, hier mitzumachen, und sich deshalb reingefuchst. Die 23-jährige Janina Machulla, die als Crissy ein unglaubliche Präsenz ausstrahlt, findet es einfach toll, „dass man bei Hair ausflippen und alles rauslassen kann“. Gerade diese beiden Punkte hat die New Stage Company perfektioniert. Sie lässt wirklich alles raus und damit, wie es nicht erst beim Finale mit „Let the sun shine In“ heißt, im Theater im Sägewerk die Sonne scheinen .