Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 hat seine Teilnahme an der Stresstest-Präsentation abgesagt. Heiner Geißler hält das für falsch.

Stuttgart - Der Erste, der am Donnerstag von der vorhersehbaren Absage des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 erfahren hat, war Heiner Geißler. Sie habe den Schlichter kurz vor der öffentlichen Bekanntgabe angerufen und ihn darüber informiert, so die Bündnissprecherin Brigitte Dahlbender, "dass wir nicht für eine Schauveranstaltung zur Verfügung stehen und daher nicht an der öffentlichen Präsentation der Ergebnisse des Stresstests teilnehmen". Geißler sei darüber nicht erfreut gewesen und habe die Absage bedauert.

 

Die Entscheidung sei zuvor lange diskutiert worden und dem Aktionsbündnis nicht leichtgefallen, da die Präsentation nach dem Vorbild der Schlichtung auch eine Bühne biete, Fakten und Argumente öffentlich vorzutragen, so die Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND). Ausschlaggebend sei letztlich gewesen, dass nach tagelanger Debatte mit Heiner Geißler und Vertretern der Bahn über die Prämissen des Stresstests kein Einvernehmen über die Vorgaben und das Verfahren erzielt werden konnte. "Unsere Bedingungen sind in keiner Weise erfüllte worden, und wir wurden zu keinem Zeitpunkt eingebunden", so Brigitte Dahlbender.

Geißler hält die Entscheidung des Bündnisses für falsch

In dieser fehlenden Beteiligung der eigenen Experten wie etwa Klaus Arnoldi vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) oder dem ehemaligen Leiter des Stuttgarter Hauptbahnhofs, Egon Hopfenzitz, sieht das Aktionsbündnis den "Grundfehler der Bahn", wie der SÖS-Stadtrat und Bündnissprecher Hannes Rockenbauch am Donnerstag betonte. Der Bahn fehle der Wille zur Kooperation auf Augenhöhe. Wesentliche Unterlagen, die zur Beurteilung des Stresstests unverzichtbar seien, etwa die Fahrplanrobustheitsprüfung oder die Leistungsbeschreibung an den Gutachter SMA, seien entgegen der Zusagen der Bahn bis zuletzt vorenthalten worden, so Rockenbauch. Auch die Zusage, den Kontakt zwischen dem Aktionsbündnis und dem Gutachterbüro SMA zu ermöglichen, sei wieder zurückgezogen worden: "Diese Strategie ist unerträglich."

Heiner Geißler, unter dessen Leitung der Leistungstest in der Schlichtung vereinbart worden war, will das Gutachten der Schweizer Verkehrsberater derweil wie bereits angekündigt auch ohne die Beteiligung des Aktionsbündnisses öffentlich präsentieren - und zwar am Dienstag nächster Woche um 11 Uhr im Rathaus. Er sei nicht der "Psychotherapeut der Gegner", so Geißler. "Es ist aus ihrer Sicht falsch, wenn man die Gelegenheit nicht wahrnimmt, die Argumente der Öffentlichkeit vorzustellen." Er könne die Präsentation nicht absagen, nur weil die Gegnerseite die Voraussetzungen für den Stresstest nicht akzeptiere.

"Die Bürger haben einen Anspruch auf Erklärungen"

Wie genau und mit welcher Beteiligung die Präsentation, in der nach dem Vorbild der Schlichtung kontrovers über die Fakten diskutiert werden soll, nun stattfinden wird, ist momentan noch unklar. Laut Ministeriumssprecher Edgar Neumann wird der Grünen-Verkehrsminister Winfried Hermann in jedem Fall teilnehmen. Ansonsten wollte die Landesregierung am Donnerstag keine Stellungnahme zu der Absage abgeben. Dem Vernehmen nach brauchen die Ministerien noch Zeit, das Gutachten zu analysieren und sich auf eine gemeinsame Sprachregelung zu verständigen.

Für Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, der die Absage am Donnerstag wie auch der S-21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich bedauerte, macht sich das Aktionsbündnis "damit unglaubwürdig". - "Es scheint nicht mehr um die Sache zu gehen", so Schuster, "sondern nur darum, dagegen zu sein und weiteren Streit zu provozieren." Die Bürger hätten einen Anspruch darauf, dass ihnen verständlich erklärt werde, was und wie geprüft wurde. Wenn es ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Leistungsfähigkeit gebe, müssten diese auf den Tisch gelegt und erörtert werden, so Schuster: "Deshalb werden wir den Stresstest auf jeden Fall öffentlich präsentieren, Fragen und Einwände diskutieren."

Der Fahrplan gehe zu Lasten anderer Bahnknoten

Mit dem Leistungstest muss die Bahn unter anderem nachweisen, dass mit dem 4,1 Milliarden teuren Bahnprojekt 30 Prozent mehr Verkehr in der Spitzenstunde abgefertigt werden kann als bisher. Als Berechnungsgrundlage dafür wurden 37 Züge veranschlagt - was von den Gegnern als unzulänglich kritisiert wird. Der bestehende Kopfbahnhof könne wesentlich mehr leisten, bei einer Modernisierung sogar bis zu 54 Züge, 49 seien schon heute leistbar, so Brigitte Dahlbender. Die von der Bahn für den Tiefbahnhof berechneten 49 Züge seien daher keinesfalls eine Verbesserung um 30 Prozent. "Die Grundannahmen für den Stresstest stimmen einfach nicht."

Scharf kritisiert wird vom Aktionsbündnis zudem die Fahrplankonzeption, die ein Abschied vom landesweiten integralen Taktfahrplan bedeute. Die Ausrichtung des Fahrplans auf den Stuttgarter Tiefbahnhof gehe zu Lasten benachbarter Bahnknoten wie etwa Karlsruhe, Heilbronn oder Ulm, wo reihenweise gute Anschlüsse für die Fahrgäste verloren gehen, so Brigitte Dahlbender. Nicht akzeptabel sei auch die Trennung zwischen dem Stresstest und dem Notfallkonzept für die S-Bahn, so der VCD-Landesvorsitzende Klaus Arnoldi. Ein echter Stresstest müsse kritische Zustände mit größeren Störfällen untersuchen, um die Grenzen des Systems jenseits des Normalbetriebs austesten zu können. "Diesen Anforderungen genügen die Unterlagen der Bahn in keiner Weise."