Das Land erprobt an der Bundesstraße 29 bei Lorch ein neues System, um Falschfahrten auf Bundesstraßen und Autobahnen zu verhindern. Das Prinzip: wer es nicht sieht, dass er gegen den Strom fährt, soll es wenigstens hören und fühlen. Doch vielleicht sind die Hinweise noch ein bisschen zu sanft.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Lorch - Der ersten Probefahrt lässt der Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) gleich eine zweite folgen, diesmal mit voller Beschleunigung. Dann wünscht er sich noch eine dritte im Schneckentempo. Und weil auf der Rückbank des Elektro-BMW der Staatssekretär Norbert Barthle (CDU) aus Berlin Platz genommen hat, dreht die parteiübergreifende Testfahrgemeinschaft noch eine vierte Runde. Dann steigt Hermann aus und ist – naja – so einigermaßen zufrieden. „Ich hätte gedacht, dass es noch ein bisschen mehr ruckelt“, gibt er zu.

 

Trotzdem knüpft der Minister an die fünf Schwellen aus Kaltplastikmaterial, die in nur drei Tagen an der Abfahrt von der Bundesstraße 29 bei Lorch (Ostalbkreis) in den Asphalt gefräst worden sind, große Hoffnungen. Vielleicht können die fünf Ruckler ja tatsächlich den ein oder anderen wachrütteln, bevor er in falscher Richtung auf die Schnellstraße fährt. Zunächst gehe es nur um ein Pilotprojekt. Neben den zwei Abfahrten in Lorch-Ost werde noch eine Abfahrt in Schwäbisch-Gmünd ausgerüstet. Doch sollte sich das System bewähren, könnte es nach den Vorstellungen des Verkehrsministeriums auf das ganze Land übertragen werden. Die Kosten von 7000 Euro pro Rampe seien überschaubar.

Zwei tödliche Unfälle in zwei Jahren

Gemessen am gesamten Unfallgeschehen seien Falschfahrerunfälle eigentlich relativ selten, sagt Hermann. „Doch wenn es kracht, wird es meistens schlimm.“ So wie vor einem halben Jahr. Da erwischte eine 72-jährige Autofahrerin genau hier, an der Anschlussstelle Lorch-Ost, die falsche Spur. Die Sonne ging schon unter, die Straße war mit Schneematsch belegt, die Frau offenbar ungeübt. Sie verlor die Orientierung, bog einige Meter zu früh ab. Nach 2,8 Kilometern kollidierte ihr Wagen frontal mit einem entgegenkommenden Fahrzeug. Die Rentnerin und der andere Autofahrer, ein 21-jähriger Mann, waren sofort tot. Ein 20-jähriger Beifahrer wurde schwer verletzt. Es war dort der zweite tödliche Falschfahrerunfall innerhalb von nicht einmal zwei Jahren.

Erdacht hat die Rüttelstreifen ein Polizeistudent aus Sachsen. Während seiner Ausbildung sei er drei Jahre lang von Jena zur Polizeihochschule ins 350 Kilometer entfernte Rothenburg in der Oberlausitz gependelt, erzählt Konstantin Berkovych. Dabei seien ihm die vielen Falschfahrermeldungen im Radio erst so richtig aufgefallen. In seiner Masterarbeit ging der 28-Jährige dem Problem dann systematisch auf den Grund. Er erdachte fünf Schwellen, die über die gesamte Fahrbahnbreite in den Asphalt eingelassen werden und den Falschfahrer jeweils auf eine zwei Zentimeter hohe Kante stoßen lassen. Wer richtig fährt, fühlt die in seiner Richtung leicht ansteigende Schichtauflage hingegen lediglich wie eine leichte Bodenwelle.

„Hauptsache, wir bekommen das Schild“

Die Markierungen lässt Berkovych in einem Abstand von 14, sieben und 3,5 Metern aufbringen, so dass der Falschfahrer in immer kürzeren Intervallen gewarnt wird. „Das hört man, und man fühlt es am Sitz und am Steuer“, sagt Berkovych. Zuletzt tauchen noch zwei neongelbe Warntafeln mit schwarzer Stopp-Hand auf. Diese Kombination aus Sehen, Hören und Tasten sei ideal, um den Falschfahrer zu warnen.

Deutschlandweit ist die neue Technik noch ohne Vorbild. Nicht einmal in Sachsen sei das System erprobt, sagt Berkovych. Auf dem ehemaligen Militärfluggelände an der Rothenburger Polizeihochschule gibt es nur eine Teststrecke. Nun gehe es daran, die Bauweise zu optimieren. „Die Ruckler können noch stärker werden“, meint Berkovych. Im Landratsamt des Ostalbkreises sieht man es pragmatisch. „Hauptsache, wir haben die Neon-Warntafeln“, sagt der Verkehrsdezernent Thomas Wagenblast. Die kennen viele Autofahrer zwar vom Skiurlaub in Österreich. In Deutschland sind sie bisher aber eigentlich nicht zugelassen.

Dann wird die Abfahrt freigegeben und die ersten Autofahrer passieren die Strecke in richtiger Richtung. Irritiert durch die Schwellen bremsen viele Fahrer ab. Das sei zwar nicht beabsichtigt, aber eigentlich ein guter Nebeneffekt, findet Hermann.

Die meisten Falschfahrten beginnen an der Auffahrt

Statistik

Bundesweit werden etwa 1800 Falschfahrermeldungen registriert. In Baden-Württemberg waren es im vergangenen Jahr 410, 2015 waren 392 Meldungen im Radio gesendet worden. Allerdings ist nur bei 11,8 Prozent dieser Falschfahrten gesichert, dass sie auch wirklich stattfanden, bei 37,5 Prozent gilt dies als sehr wahrscheinlich.

Hintergründe

Das Bundesamt für Straßenwesen (BAS) schätzt dass jede 17. bis 40. Falschfahrt zu einem Unfall führt. Jeder dritte Falschfahrer sei demnach älter als 65 Jahre. Am Gesamtautoverkehr haben Senioren aber nur einen Anteil von 9,6 Prozent. In 14 Prozent der Unfälle sei Alkohol Auslöser der Geisterfahrt gewesen. Bei jeder dritten Falschfahrt mit Unfallfolge soll es sich laut dem ADAC um einen Suizid handeln.

Beginn

30 Prozent aller Falschfahrten beginnen laut BAS an der Autobahnauffahrt. In 15 Prozent der Fälle haben die Autofahrer auf der Autobahn gewendet. Für die reslichen Fälle liegen schlicht keine Erkenntnisse vor.