Spekulanten nehmen den Euro ins Visier und schicken ihn auf Talfahrt, womöglich Richtung Parität zum Dollar. Das ist die Folge der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.

Frankfurt - Die Experten von Goldman Sachs sind sich sicher: Schaue man sich die wirtschaftliche Verfassung der 18 Staaten umfassenden Währungsunion an, müsse der Kurs zur globalen Leitwährung viel niedriger stehen, meinen die Analysten der amerikanischen Investmentbank mit Blick auf den Euro. Schon bald werde das europäische Geld nur mehr einen Dollar wert sein, fast 30 US-Cent weniger als derzeit (Kurs am vorigen Freitag: 1,2931 Dollar; Jahreshöchststand: 1,3929 Dollar im Frühjahr). Die Zocker an den Finanzmärkten finden Gefallen an dieser Idee. Weil sich in den Zeiten der weltweiten Niedrigzinsen nur noch wenige Anlagemöglichkeiten finden lassen, mit denen sie schnelles Geld verdienen können, haben sie sich auf den Kursverfall der europäischen Gemeinschaftswährung gestürzt. Aktuell laufen an den Terminmärkten 198 000 Wetten im Volumen von 32 Milliarden Dollar auf einen Absturz des Euro.

 

„Die Abwertung des Euro ist das Mittel der Wahl, um Zeit zu gewinnen“, sagt Hans-Günter Redeker, der Chefwährungsstratege des Wall-Street-Hauses Morgan Stanley. Der Deutsche, der sein Büro in London hat, kann sich sogar vorstellen, dass die Einheitswährung unter einen Dollar geht: „Wenn es die beiden großen Euroökonomien Frankreich und Italien nicht schaffen, sich zu reformieren, dann wird es mit der Gemeinschaftswährung noch weiter bergab gehen.“

Plötzlich, sechs Jahre nach dem Bankrott der US-Investmentbank Lehman Brothers und der Zuspitzung der Finanzkrise, ist sie wieder da, die Angst vor einem Zusammenbruch der Eurozone. Manche Crashpropheten gehen sogar noch darüber hinaus und erwarten einen Kollaps des globalen Finanzsystems in den nächsten 36 Monaten. Ausgangspunkt wären dieses Mal nicht ein überhitzter Immobilienmarkt in den USA und die Vielzahl von „toxischen“ Wertpapieren mit unüberschaubaren Risiken, sondern die extrem lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).

Mario Draghi, der Präsident der europäischen Notenbank mit Sitz in Frankfurt, hält von solchen Krisenszenarien wenig. Der Italiener, der sich in seiner knapp bemessenen Freizeit gern mit den Schriften der großen Philosophen beschäftigt, hat den Amerikanern erst vor knapp einem Jahr in einer Rede an der Harvard-Universität unterstellt, dass sie den „philosophischen Unterbau“ der Währungsunion nicht verstanden hätten. „Sie haben die Tiefe der Verbundenheit der Europäer zum Euro unterschätzt“, sagte Draghi. Die US-Kritiker des Euro würden die Währungsunion „mit einem festen Wechselkurssystem verwechseln, obwohl der Euro tatsächlich eine unumkehrbare Einheitswährung ist“.

Inzwischen aber scheint der Präsident der EZB mit seinem Latein am Ende angekommen zu sein. Die Kritik an den Anfang September beschlossenen Maßnahmen reißt nicht ab. Dabei wird die Absenkung des Leitzinses auf 0,05 Prozent von den meisten Volkswirten noch als hilfloses und zudem wirkungsloses Mittel bewertet. Schwerer wirkt aber die Entscheidung der Mehrheit des EZB-Rates, mit dem Aufkauf von ABS-Papieren und Pfandbriefen zu beginnen. „Die EZB ist leider nicht bereit hinzunehmen, dass Wirtschaftswachstum und Inflation nach dem Platzen einer Schuldenblase naturgemäß niedrig sind“, bedauert der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer. Indem die EZB sich gegen das Unvermeidliche stemme und ihre Politik immer weiter lockere, so analysiert der Ökonom, helfe sie kaum der Realwirtschaft. Das Ergebnis ist aus seiner Sicht, dass Wertpapierkurse und Immobilienpreise steigen. „Das Finanzrad dreht sich immer schneller, die Realwirtschaft im Euroraum kommt kaum von der Stelle“, fasst Krämer zusammen.

Doch Draghi und seine südeuropäischen Kollegen im EZB-Rat wollen sich nicht damit abfinden, dass die Arbeitslosigkeit in ihren Heimatländern hoch und das Wachstum niedrig ist. Daher haben die Notenbanker das Tempo erhöht, in dem sie mit ihren Mitteln dazu beitragen wollen, die Wirtschaft anzukurbeln. Als Argument für dieses hektische Handeln führen sie die Angst vor einer Deflation ins Feld. Doch selbst die Notenbanker glauben nicht wirklich daran, dass die Euroländer in eine solche Abwärtsspirale geraten werden. Aber die Preissteigerungsraten sind weit von dem Ziel von „nahe zwei Prozent“ entfernt, das die Notenbank hat. Daher können Draghi und Co ihre Aktionen immerhin mit ihrer Aufgabe der Sicherung von Preisstabilität rechtfertigen.

Aber die meisten Maßnahmen verpuffen, weil die Regierungen nicht mit der gleichen Entschlossenheit darangehen, die notwendigen Strukturreformen durchzusetzen. Die Mittel, die die EZB noch einsetzen kann, sind sehr begrenzt und werden immer umstrittener. Bei dem angekündigten Aufkauf von Verbriefungen etwa befinde sich die EZB in einem Dilemma, analysiert der Frankfurter Wirtschaftsprofessor Jan Pieter Krahnen. Wenn die Notenbank den Banken nur solche Wertpapierbündel (ABS) abnehme, in denen sich Kredite bester Qualität befinden, dann falle die Entlastung der Banken gering aus und der von der EZB erhoffte Impuls für die Kreditvergabe bleibe aus. Übernehme sie aber mit den ABS unkalkulierbar hohe Risiken, dann könne sie – und damit letztlich der Steuerzahler – auf hohen Verlusten sitzen bleiben, meint Krahnen. Dass es sich dabei just um solche Wertpapiere handelt, die maßgeblich an der Entstehung und Ausbreitung der Weltfinanzkrise beteiligt waren und die der US-Investor Warren Buffett als „Massenvernichtungswaffen“ bezeichnete, verdeutlicht, wie weit sich der Italiener von der ursprünglichen Linie der europäischen Währungshüter entfernt hat.