Seit März ist Dorothea Bachmann, Bürgermeisterin in Hechingen, krank geschrieben. Der Fall ist nicht nur ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse, er rückt auch ein Gesetz ins Rampenlicht, das Kommunen in Baden-Württemberg ziemlich im Stich lässt.

Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

Hechingen - Wenn Philipp Hahn in seinen Kalender schaut, hat er die Qual der Wahl. Geht er heute Abend zum Auftakt des neuen Mobilitätskonzepts für Hechingen? Oder auf Einladung des Fürsten zu einer Ausstellungseröffnung im Schloss Sigmaringen? Oder zur Jahreshauptversammlung der CDU?

 

Abwägungen dieser Art ist der stellvertretende Bürgermeister von Hechingen mittlerweile gewohnt. Seit März, seit seine Vorgesetzte Dorothea Bachmann, krank geschrieben ist, müsste er sich eigentlich zwei-, manchmal dreiteilen. 340 städtische Mitarbeiter und vier Fachbereiche wollen geführt werden. Nach einem mit Besprechungen gespickten Arbeitstag und anschließendem Abendtermin kehrt er oft nach 22 Uhr ins Rathaus zurück, um Akten zu lesen. „Bis Heiligabend habe ich keinen einzigen freien Abend“, sagt Hahn mit Blick in seinen Terminplaner.

Der Fall Bachmann ist mit seinen pikanten Details nicht nur ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse, er rückt auch ein Gesetz ins Rampenlicht, das Kommunen in Baden-Württemberg ziemlich im Stich lässt, wenn der Schultes ausfällt, aber seinen Platz nicht räumt. Denn nach Paragraf 128 der Gemeindeordnung kann die Amtszeit eines Bürgermeisters nur dann für beendet erklärt werden, wenn der Bürgermeister den Anforderungen seines Amts nicht gerecht wird und so „erhebliche Missstände in der Verwaltung eintreten“.

Der Stellvertreter ist meist doppelt belastet

Davon kann in Hechingen nicht die Rede sein. Denn die Stadt verfügt über einen belastungsfähigen ersten Beigeordneten, der aus rechtlicher Sicht nahezu alle Aufgaben seiner Vorgesetzten übernehmen kann – und das auch zu bewerkstelligen scheint, wie es in seinem Umfeld heißt. Demnach müsste der 38 Jahre alte Hahn allerdings bis zu den Neuwahlen im Jahr 2019 doppelte Arbeit leisten. Denn Dorothea Bachmann ist bisher nicht bereit, ihr Amt niederzulegen. Stattdessen notierte der Amtsarzt in einem ersten Gutachten, das der Landrat Günther-Martin Pauli als Vertreter der Rechtsaufsichtsbehörde einholen ließ, dass im Lauf der nächsten sechs Monate „die Chance einer Wiedereingliederung“ bestehe. Da sich aber Dorothea Bachmann bisher nicht hat blicken lassen, (die Kommunikation beschränkt sich auf wenige Whatsapp-Meldungen, wie die Stadt jüngst mitteilte), hat Pauli nun ein zweites Gutachten angefordert, das nach seinen Angaben noch im November erstellt wird. Dazu muss man wissen, dass Bachmann jeden Monat, den sie im Amt verbleibt, ein Grundgehalt von 8500 Euro erhält. Würde sie krankheitsbedingt vorzeitig in Pension gehen, würde ihr Gehalt schätzungsweise auf 5000 Euro sinken.

Hechingen ist kein Einzelfall

Derlei kommt nicht allzu oft vor, andererseits ist Hechingen aber auch kein Einzelfall. Schließlich sind auch Bürgermeister nicht vor andauernden Erkrankungen oder Verfehlungen gefeit. In den letzten Jahren mussten auch die Gemeinden Dunningen (Kreis Rottweil), Oppenweiler (Rems-Murr-Kreis), Rickenbach (Kreis Waldshut), Dürbheim und Frittlingen (beide Kreis Tuttlingen) lange ohne Bürgermeister auskommen, in Frittlingen sogar länger als zwei Jahre. In vielen Fällen waren die Bürgermeister psychisch überfordert. Besonders skurril waren die Hintergründe in Rickenbach im Südschwarzwald. Der dortige Bürgermeister hatte Anschläge auf sich selbst fingiert, um vermutlich unter dem Vorwand von „Dienstunfällen“ in den Ruhestand gehen zu können – mit erhöhten Pensionsansprüchen. Fast immer mussten Ehrenamtliche in die Bresche springen, da Gemeinden aufgrund ihrer Größe kein Anrecht auf einen bezahlten Stellvertreter haben. Entsprechend wurden immer wieder Forderungen nach einer Möglichkeit laut, den Bürgermeister abwählen zu können, wie sie in den meisten anderen Bundesländern vorgesehen ist. In Duisburg wurde man auf diese Weise den Rathauschef Adolf Sauerland los, der nach dem Love-Parade-Unglück stark in der Kritik stand. In Kaisersesch in Rheinland-Pfalz wählten die Bürger einen Schultes ab, der trotz einer Bewährungsstrafe wegen sexueller Nötigung einer Mitarbeiterin das Amt nicht aufgeben wollte. Erst vor wenigen Tagen wurde in der Hansestadt Werben in Sachsen-Anhalt der Bürgermeister abgewählt. Hintergrund waren Auseinandersetzungen zwischen ihm und den Stadträten, die „die politische Arbeit behinderten“, wie die Stadt mitteilte.

Der Landrat wünscht sich eine „Reißleine“

Auch in Burladingen, ebenfalls im Zollernalbkreis, sind sich der Gemeinderat und der AfD-nahe Bürgermeister spinnefeind. Kein Wunder, dass sich der Landrat Günther-Martin Pauli eine „Reißleine“ wünscht. Ihm schwebe ein Abwahlverfahren vor, das „mit hohen Hürden und Quoren einhergeht, damit das Instrument nur in extremen Fällen greift“, sagt er. Kein rechtschaffener Bürgermeister sollte befürchten müssen, sein Amt zu verlieren. Paulis Mitgefühl gilt den ehrenamtlichen Gemeinderäten, die sich in solchen Situationen „ohnmächtig und nicht ernst genommen fühlen“, wie er beobachtet. „Acht Jahre können lang sein, wenn der Bürgermeister keine Lust mehr auf sein Amt hat.“

Der Gemeindetag sieht dagegen keinen Anlass für eine Abwahlmöglichkeit von Bürgermeistern. „Zum einen passt sie nicht ins System der südwestdeutschen Ratsverfassung, in der der Bürgermeister eine starke Stellung hat“, heißt es in einer Stellungnahme des Präsidenten Roger Kehle. Das Verhältnis zwischen Bürgermeister und Gemeinderat wäre „nicht mehr austariert“. Außerdem sei die geringe Zahl der Fälle „kein Grund, die Gemeindeordnung zu ändern“. Darüber hinaus könne so eine Regelung dazu führen, dass der Beruf des Bürgermeisters an Attraktivität verliert.

Dagegen würde der Beruf des stellvertretenden Bürgermeisters mit Sicherheit an Attraktivität gewinnen. „Mit 50 Jahren würde ich so eine Doppelbelastung nicht mehr wollen“, sagt Philipp Hahn, der seinen Job mit Leidenschaft ausübt. Zumal er erste graue Haare bei sich entdeckt habe.

Die Ermittlungen im Fall Bachmann abgeschlossen

Hintergrund:
Die lange Krankengeschichte der Hechinger Bürgermeisterin Dorothea Bachmann (parteilos) dürfte mit ihren Eheproblemen zusammen hängen, die im März in die Öffentlichkeit gelangt sind. Nachdem die Boulevardpresse über ein Treffen mit einem Mann auf einem Parkplatz berichtet hatte, das Bachmanns Ehemann mit Hilfe eines Peilsenders auffliegen ließ, schwirrte der Fall bundesweit durch die Medien. Damals hatte die Staatsanwaltschaft Konstanz ein Verfahren eröffnet, das sie später nach Hechingen abgab. Die Ermittlungen dazu haben die Behörden jetzt zu den Akten gelegt. Zuletzt hatte sich das Regierungspräsidium (RP) mit dem Verdacht auf eine Ordnungswidrigkeit durch einen Verstoß gegen den Datenschutz seitens des Ehemanns beschäftigt. Zum Ergebnis wolle er sich nicht äußern, sagte ein Sprecher des RP.

Gemeindetag:
Die Interessen der 1101 Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg vertritt der Gemeindetag. Er wird gehört, wenn Gesetze, Verordnungen oder Programme Städte und Gemeinden betreffen. Umgekehrt kann der Gemeindetag aktiv werden, wenn die Lage der Kommunen landespolitisches Handeln erfordert. Eine Abwahlmöglichkeit von Bürgermeistern lehnen Landesregierung und Gemeindetag ab.