Die Bildung von Zählgemeinschaften im Gemeinderat ist umstritten, aber höchstrichterlich genehmigt. So wird auch Einzelstadträten zu Ausschusssitzen und Aufsichtsratsmandaten verholfen.

Stuttgart - Die Wahl eines neuen Gemeinderats setzt regelmäßig einen Prozess von Neubesetzungen beschließender und beratender Ausschüsse sowie von weit mehr als 100 Aufsichts- und Beiratsposten in städtischen Betrieben, in Organenöffentlicher Einrichtungen, gemeinnütziger Vereine oder Stiftungen in Gang. Die Palette reicht von der Stiftung des Kunstmuseums bis zum Zweckverband der Wasserversorgung, von der Mitgliederversammlung des Verbands Stuttgarter Krankenanstalten bis zum Verwaltungsrat der Württembergischen Staatstheater. Die lukrativsten Posten winken den Vertretern des Stadtparlaments im Aufsichtsrat der BW-Bank und in der Hauptversammlung der Landesbank LBBW. Mit mehreren Tausende Euro wird die Mitarbeit in diesen Gremien vergütet, ein Teil des Geldes, das die Stadträte erhalten, fließt in die Parteikasse. Aufsichtsratmandate beim Flughafen oder der Hafen Stuttgart GmbH bringen ebenfalls einen jährlichen Fixbetrag im vierstelligen Bereich und zusätzliche Sitzungsgelder. Über die Besetzung wird nach den Pfingstferien gesprochen.

 

Die Verwaltung, Fraktionen und Einzelstadträte haben sich bereits über die Bestückung der Ausschüsse geeinigt. Die beschließenden Ausschüsse haben weiterhin 17 Mitglieder. Es hätten auch weniger sein können – in den Sitzungen fallen Mitglieder nicht selten überwiegend durch Teilnahmsloigkeit auf.

16 Ausschussmitglieder wären genug

Auf diese Zahl hatte man sich aber 2009 notgedrungen verständigt, zuvor waren es 16 gewesen; den Steuerzahler kostete die Einigung 5500 Euro mehr Sitzungsgeld pro Jahr. Sie war nötig geworden, weil die um fünf Sitze geschrumpfte CDU erwogen hatte, gemeinsam mit FDP und Freien Wählern eine so genannte Zählgemeinschaft zur Zusammensetzung der Ausschüsse zu bilden. Ziel des bürgerlichen Blocks war es, mehr Posten zu ergattern, als ihm zustand. Der Nebeneffekt: mit der Hälfte der 16 Sitze hätte er jeden Beschluss verhindern und mit Hilfe des Oberbürgermeisters als möglichen Sitzungsleiters sogar für sich entscheiden können.

In Anbetracht des Gesamtergebnisses – die Grünen waren stärkste Fraktion geworden, der bürgerliche Block verlor seine lange verteidigte Mehrheit – wäre dies aber eine Missachtung des Wählerwillens gewesen und hätte von der neuen Mehrheit nur verhindert werden können, indem sie sämtliche Punkte zur Beschlussfassung in den Gemeinderat verwiesen hätte. Alternativ hat sie per Änderung der Hauptsatzung die Ausschusssitzzahl erhöht, was CDU, FDP und Freien Wählern nicht die Mehrheit, aber eben einige zusätzliche Posten einbrachte.

Anders als Fraktionsgemeinschaften, wie sie früher CDU und Freie Wähler bildeten und heute SÖS und Linke praktizieren, sind Zählgemeinschaften nicht auf Dauer angelegt. Die Beteiligten müssen auch keine gemeinsame politische Grundanschauung haben, weshalb die „Republikaner“ 2001 abtrünnige Konservative dazu eingeladen hatten – vergeblich. Zweck ist allein der Gewinn von Ausschusssitzen, den die Teilnehmer mit getrennten Wahlvorschlägen nicht erzielen könnten. Kritiker führen an, dies konterkariere den Wählerwillen noch stärker als eine Fraktionsgemeinschaft. Hätten die Bürger gewollt, dass eine Liste Fraktionsstärke erhält (in Stuttgart mindestens vier von 60 Sitzen), hätten sie ihr zu der nötigen Zahl von Sitzen verholfen. Aber selbst das Bundesverwaltungsgericht kann nichts daran finden. Jede Fraktion sei schließlich frei, einen Wahlvorschlag abzugeben, über den nach Verhältniswahlgrundsätzen abgestimmt werde.

Fraktions- und Zählgemeinschaft gegründet

Im aktuellen Fall haben SÖS, Linke, Piraten und die Studentische Liste für die Arbeit im Gemeinderat eine achtköpfige Fraktionsgemeinschaft gegründet – und zudem mit dem Vertreter der Stadtisten zur Optimierung ihrer Ausgangslage bei der Entscheidung über die Ausschussbesetzung eine neunköpfige Zählgemeinschaft. Diese erhält – wie die SPD – drei Sitze. Ohne den Stadtisten Ralph Schertlen wären es nur zwei gewesen, er alleine wäre leer ausgegangen. Jetzt muss sich die Zählgemeinschaft mit der SPD über den dritten Sitz für jeden Ausschuss verständigen, andernfalls entscheidet jedes Mal das Los.