Bis zur Sitzungsgeldaffäre 2005 waren die Selbstständigen im Gemeinderat höher entschädigt worden als Angestellte. Die Regelung provozierte allerdings Missbrauch.

Stuttgart - Der Gemeinderat ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Es gibt Engagierte, die einen Großteil der rund 1400 Beschlussvorlagen pro Jahr durcharbeiten, sich in der Vollversammlung, in Ausschüssen, Beirats- und Aufsichtsratssitzungen vorbereitet zeigen und abends und an den Wochenenden in Bezirksbeiräten sowie bei Vereinen und Organisationen anzutreffen sind. Andere Stadträte tun das nicht.

 

Sie sitzen Termine ab, studieren Unterlagen nach Sitzungsbeginn oder sortieren Urlaubsfotos, wenn Aufmerksamkeit angebracht wäre. Manche, wie etwa der Vertreter der Stadtisten, Ralph Schertlen, gehen davon aus, dass der Aufwand komplett ausgeglichen werden müsste. Es wird der Eindruck erweckt, bürgerschaftliches Engagement sei nur sinnvoll, wenn es sich rechnet. In der Gemeindeordnung heißt es aber: Gemeinderäte sind ehrenamtlich tätig.

Selbstständige sind schlechter dran als Angestellte

Den gerecht honorierten Stadtrat gibt es nicht nur wegen der unterschiedlichen Einstellungen nicht; im Gremium tummeln sich Selbstständige, deren Fehlzeiten niemand ersetzt, und Angestellte des öffentlichen Diensts, die von ihrem Arbeitgeber ohne Gehaltsabzug freigestellt werden.

Es kommt nicht von ungefähr, dass Selbstständige den alten Zeiten nachtrauern. Damals sah die Satzung für sie einen höheren Satz als für Angestellte (92 statt 31 oder 62 Euro für eine Sitzung von bis zu fünf Stunden) vor. Alt-OB Schuster (CDU) sah sich aber 2005 im Zuge der „Sitzungsgeldaffäre“ gezwungen, die Regeln zu verallgemeinern und für alle 60 Euro einzuführen (bei einer Erhöhung der Grundpauschale). Das Beispiel seines Parteifreundes Roland Schmid, der fälschlicherweise davon ausgegangen war, das Sitzungsgeld für Selbstständige in Anspruch nehmen zu dürfen, weil er als Landesangestellter eine nebenberufliche Tätigkeit als Lehrbeauftragter nicht wahrnehmen konnte, hatte die Schwächen des Systems aufgezeigt. Die Verwaltung war weder willens noch fähig, den Fehler zu erkennen. Schmid musste am Ende rund 27 000 Euro zurückzahlen.

Schuster sah sich damals noch mit einem weiteren Phänomen zur Erhöhung der Entschädigung konfrontiert: dem Sitzungshopping. Parteivertreter haben sich oft nur für wenige Minuten in den Fachausschüssen einwechseln lassen. Die Pauschale ist gesichert, wenn die Protokollantin schriftlich festgehalten hat, dass der Politiker seinen Platz in der ersten Reihe eingenommen hat. Anwesenheitslisten sollten die Hüpferei zu Lasten der Stadtkasse einschränken. Der Erfolg sei überschaubar, heißt es heute.

Mehr Personal für die Gemeinderatsarbeit

Sinnvoller könnte es sein, die Ausstattung des Gemeinderats parteiübergreifend mit kompetentem Personal zu verbessern. Die Stadträte könnten von Recherchen entlastet, komplexe Themen könnten von wissenschaftlichen Mitarbeitern aufbereitet werden. Allerdings wären Fraktionen und Gruppierungen dazu heute schon in der Lage. Das Budget setzt sich zusammen aus einem Sockelbeitrag für Assistenzpersonal (11 112 Euro) sowie für Sachaufwendungen und Büropersonal (45 360 Euro). Zudem gibt es einen Kopfbeitrag pro Fraktionsmitglied von 16 273 Euro. Den Grünen etwa stehen so rund 300 000 Euro pro Jahr zur Verfügung. Hinzu kommen die Räume, Büroausstattung und -material, Telekommunikationsmittel sowie die Übernahme von Fortbildungskosten.

CDU, SPD und FDP begründen die höhere Entlohnung vor allem mit der gestiegenen Arbeitsbelastung. Diese ist nur gefühlt höher. Das Statistische Amt wies 2006 für die Stadträte 932 Sitzungsstunden im Gemeinderat, in den Ausschüssen, Beiräten und Organen der Beteiligungsgesellschaften aus. 2013 waren es 971, also gerade einmal 4,1 Prozent mehr.