An drei Standorten in der Region wird die Gemeinschaftsschule eingeführt. Alle zeichnen sich durch besondere pädagogische Konzepte aus.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Korb/Döfflingen/Bad Boll - Wir sind dabei. Juhu!“ Diese Worte sind auf dem Plakat zu lesen, das an der Tür zum Silchersaal der Keplerschule in Korb (Rems-Murr-Kreis) die Gäste empfängt. Die Eltern aller Viertklässler wurden zur Vorstellung der neuen Gemeinschaftsschule eingeladen, an der künftig alle Kinder bis zur zehnten Klasse zusammen lernen sollen. Die Keplerschule zählt damit zu den drei Schulstandorten in der Region Stuttgart, die das neue Modell vom kommenden Schuljahr an bereits umsetzen.

 

Außer den Korbern sind noch die Grund- und Werkrealschule Döffingen (Kreis Böblingen) dabei sowie die Heinrich-Schickhardt- und die Blumhardtschule in Bad Boll (Kreis Göppingen) – eine Werkrealschule und eine Förderschule, die sich mit einem gemeinsamen Konzept beworben haben und sich den Schulhof teilen. Damit zählen diese Schulen zu den 34 Starterschulen im Land.

Lehrer und Schüler bildeten Teams

Alle drei Schulstandorte gehen schon heute andere Wege des Lernens, sie haben besondere Konzepte – sei es dadurch, dass sie schon lange altersübergreifend lernen wie in Grafenau oder dass die sogenannte Inklusion praktiziert wird, also behinderte und nicht-behinderte Kinder gemeinsam lernen, wie das Bad Boll anbietet. Die Schulleitungen suchen die Herausforderung eines neuen Schulmodells, sonst hätten sie sich ja nicht beworben, aber wie reagieren die Eltern? Diese Frage stellen sich wohl alle Rektoren der sogenannten Starterschulen, jenen also, die vorangehen mit der Gemeinschaftsschule – auch in Korb.

Gut eine Viertelstunde, bevor die Veranstaltung im Korber Schulsaal beginnt, wissen der Rektor Thomas Kuntz und die Leiterin des Schulamts, Sabine Hagenmüller-Gehring, nicht, was sie erwartet: gähnende Leere oder ein Massenansturm. Ein paar Minuten später entspannen sich die Gesichter der beiden Pädagogen, das Interesse der Eltern am neuen Schultyp ist groß. Der Saal ist brechend voll, gut hundert Mütter und Väter sind gekommen, die Stühle reichen nicht. Bis dato waren Informationsabende an der Keplerschule wenig gefragt, kaum jemand wollte sein Kind auf die Hauptschule schicken.

Kuntz und Hagenmüller-Gehring erklären das Konzept: Die Kinder sollen nach individuellen Voraussetzungen lernen, die Schule fördere die Stärken der Kinder und suche ihre Talente. Lehrer und Schüler bildeten Teams, die Arbeit in Kleingruppen sei gefragt. Viele Studien hätten bewiesen, dass starke und schwache Schüler sehr voneinander profitierten. Erst im Laufe der Schuljahre entscheide sich, welchen Abschluss die Kinder machen würden. Die Keplerschule wird zur Ganztagsschule. Kuntz sagt, er wolle, dass die Kinder an den drei Tagen mit Ganztagsbetrieb „den Lernprozess um 16 Uhr abschließen“.

„Wir wollen keinen Schüler abweisen“

Die Eltern sollten nämlich nicht zu Hilfslehrern werden, Kuntz grinst knitz in die Runde und sagt dann: Hausaufgaben seien mitunter „Hausfriedensbruch“. Viele Eltern sind angetan vom neuen Schultyp, manche fast euphorisch, nur wenige äußern Bedenken, die nicht ausgeräumt werden können. „Das klingt alles sehr interessant, auch für Eltern aus Waiblingen“, sagt ein Vater. Doch was gedenke die Schule zu tun, wenn der Andrang zu groß sei? Ein durchaus mögliches Szenario, denn für die Gemeinschaftsschulen gibt es keine Schulbezirke.

Jeder Viertklässler könnte die Keplerschule wählen. Die Schulamtsleiterin sagt: „Wir wollen keinen Schüler abweisen.“ Wenn hundert neue Fünftklässler kämen, müsse mit der Gemeinde gesprochen werden. Diese sei als Schulträger für den Schulhausbau verantwortlich. Gemeinschaftsschulen, die mindestens 60 Schüler je Jahrgangsstufe haben, dürfen sogar einen Gymnasialzug anbieten. Das indes sei für Korb allenfalls Zukunftsmusik, sagt die Amtsleiterin. Der Rektor wäre zufrieden, wenn in den nächsten Wochen rund 30 Viertklässler angemeldet würden–28 reichen für zwei Eingangsklassen.

Nicht nach Schema F: Die Starterschulen in der Region haben was zu bieten

Korb Die Keplerschule in Korb (Rems-Murr-Kreis) ist bis dato eine Grund- und Hauptschule. 2004 hat sich das Kollegium auf den Weg gemacht, neueste Erkenntnisse der Bildungsforschung umzusetzen. Seither wird nach einem Konzept des Pädagogen Heinz Klippert gearbeitet. Die Schüler sollen nicht nur Wissen pauken, sondern lernen, sich selbst zu helfen. Die Lehrer verstehen sich als Lernbegleiter. An der Keplerschule gibt es Azubipaten und Gymnasiasten, die mit den Hauptschülern lernen. Nach individuellen Kompetenzanalysen unterschreiben die Schüler verbindliche Fördervereinbarungen.

Döffingen 305 Schüler gehen in die Grund- und Werkrealschule in Döffingen (Kreis Böblingen). Schon seit 16 Jahren lernen die Schüler in der Schule altersübergreifend. "Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht", sagt die Konrektorin Annette Schumpp. Sie freut sich auf das neue Konzept, sieht aber auch noch Klärungsbedarf: Etwa sei bislang nicht klar, wie die Notengebung funktioniere. Am 2. Februar findet von 19.30 Uhr an ein Infoabend in der Grund- und Werkrealschule (Bergstraße 18) statt.

Bad Boll Die Heinrich-Schickhardt-Schule und die Blumhardtschule in Bad Boll (Kreis Göppingen) praktizieren seit 15 Jahren das inklusive Konzept: Kinder mit und ohne Handicap lernen zusammen. Auch dort sieht man den Zuschlag als Lob: "Für die Schulen ist es ein Befreiungsschlag, endlich die Akzeptanz von Seiten der Politik zu bekommen, die sie verdienen", sagte der Göppinger Landtagsabgeordnete Jörg Matthias Fritz (Grüne).

Schulmodell Die neue Gemeinschaftsschule, die an 34 Standorten mit dem Schuljahr 2012/13 im Land eingeführt wird, stellt das individuelle Lernen in den Mittelpunkt. Nicht schon mit der Wahl des Schultyps in der fünften Klasse steht der Abschluss fest. Die Gemeinschaftsschule ist in den Klassenstufen 5 bis 10 Ganztagesschule. Sie ist in der Regel zwei- oder mehrzügig, wobei der Klassenteiler bei 28 Kindern festgelegt ist. Grundsätzlich können sich alle allgemeinbildenden Schulen zu Gemeinschaftsschulen entwickeln. StZ