In der Generaldebatte um die Wohnungspolitik in der Landeshauptstadt prallten am Freitag im Rathaus die Meinungen aufeinander. CDU, Grüne und OB Kuhn verteidigten ihre Strategien und Zielvorgaben. SPD und SÖS/Linke-plus halten das nicht für ausreichend.

Stuttgart - Begleitet von Protesten und Zwischenrufen von Mieterinitiativen hat am Freitag im Wirtschaftsausschuss des Gemeinderats die Generaldebatte zum Thema Wohnen in Stuttgart begonnen. Auf Plakaten warfen die Mieter OB Fritz Kuhn (Grüne) Wahlbetrug vor und verlangten außerdem einen „Mietpreisstopp“. Im Sitzungssaal verlief derweil die Debatte entlang der bereits bekannten verschiedenen politischen Frontlinien. Kuhn, die CDU und die Grünen zeigten sich zufrieden mit dem bisher Erreichten, SPD und SÖS-Linke-plus kritisierten dagegen, die Stadt tue zu wenig gegen den Anstieg der Mieten und sei bei der Ausweisung neuer Baugebiete zu zögerlich.

 

Dass vor allem bei der Schaffung von geförderten Sozialwohnungen mehr getan werden muss, dafür sprechen die Zahlen des Amts für Wohnungswesen: 3965 Wohnungssuchende sind in der Vormerkdatei der Stadt registriert – bei 2428 handelt es sich um Not- oder Dringlichkeitsfälle. Für den OB, der 2013 das Ziel ausgegeben hatte, jährlich insgesamt 1800 neue Wohnungen und davon 300 Sozialwohnungen in der Stadt bauen zu lassen, ist die Tatsache, dass 2016 nur ein Drittel der belegungsgebundenen Wohnungen realisiert werden konnte, aber kein Grund, in Sack und Asche zu gehen. „Wir haben ordentlich Fahrt aufgenommen und bauen, was geht“, so Kuhn. Schon im laufenden Jahr sei die Chance auf 400 neue Sozialwohnungen gegeben. Dass seit 2014 pro Jahr insgesamt 1800 Wohnungen gebaut werden konnten, wertete er als Erfolg: „Wir sind noch nicht am Ziel, aber wir werden es erreichen.“

Vehement verwahrte sich der Grüne gegen den Vorwurf, er wolle das Problem fehlender Wohnungen und steigender Mieten aussitzen. Wer mehr bauen wolle, müsse konkret sagen, wie und wo das gehen solle. Er halte es nicht für gut, „in großem Stil auf den Acker zu gehen“, so Kuhn an die Adresse der SPD und der Immobilienlobby, die hartnäckig für die Ausweisung neuer Baugebiete auf Freiflächen plädieren, während die Gemeinderatsmehrheit am Grundsatz Innen- vor Außenentwicklung festhalten will. Die aktuelle Zeitstufenliste Wohnen, in der die Stadt das kurz-, mittel- und langfristig bebaubare Flächenpotenzial durch Nachverdichtung, Bebauung von Industriebrachen und behutsame Arrondierung bestehender Wohngebiete auflistet, weist Platz für bis zu 24 000 Wohneinheiten aus.

OB Kuhn will keinen Wohnungsbau im großen Stil „auf dem Acker“

Nach Ansicht der CDU ist das auch noch nicht das Ende der Fahnenstange. „Die Zeitstufenliste bildet nur 50 Prozent des Potenzials ab, da ist noch mehr drin“, so ihr Stadtrat Philipp Hill. Die Union unterstützte die moderate Wohnungsbaupolitik der Verwaltung, man sei auf einem guten Weg und habe realistische Ziele formuliert. Insbesondere in einem Punkt war sich Hill mit OB Kuhn einig: „Kein großflächiger Wohnungsbau auf der grünen Wiese“. Sylvia Fischer (Grüne) sagte, die Stadt habe erfolgreich die Trendwende auf dem Wohnungsmarkt eingeleitet. Die Grünen setzten auf verdichteten Geschosswohnungsbau in attraktivem Wohnumfeld. „Dass wir seit Jahren überhaupt wieder geförderten Wohnungsbau haben, ist schon ein Erfolg“, so Fischer. Für SPD-Fraktionschef Martin Körner dagegen sind Kuhns wohnungsbaupolitische Vorgaben nicht ehrgeizig genug: Weil die Nachfrage und das Angebot so weit auseinander klafften, sei Stuttgart nach München beim Wohnen die zweiteuerste Stadt Deutschlands. „Normalverdiener können sich hier kaum noch eine Wohnung leisten“, beklagte Körner. Er plädierte für Neubaugebiete „im Außenbereich“, wie es mittlerweile auch der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann befürworten würde, und regte erneut die Gründung einer regionalen Wohnungsbaugesellschaft an. „Dazu bräuchte es Partner, und so viele gibt es davon in der Region halt leider Gottes nicht“, entgegnete Bernd Klingler (AfD).

SPD beruft sich auf Kretschmann als Kronzeugen für Baugebiete auf der grünen Wiese

Für SÖS/Linke-plus kritisierte Stadtrat Thomas Adler, die bisherige Rathauspolitk sei bestimmt vom Drängen der Immobilienunternehmen und Investoren. „Der Markt richtet gar nichts“, so Adler. Der Abriss und die Modernisierung beziehungsweise der Neubau von Wohnungen, deren Mietpreise sich dann nur noch solvente Mieter leisten könnten, bewirke eine Verdrängung der alteingesessenen Bewohner. Adler plädierte erneut dafür, die privatwirtschaftlich organisierte Städtische Wohnungsbaugesellschaft SWSG in eine kommunale Behörde zu überführen und unter städtischer Regie verstärkt Grundstücke aufzukaufen und mit geförderten Wohnungen zu bebauen. FDP-Stadtrat Michael Conz hält das für völlig verfehlt: Statt den Sozialwohnungsbau „ums Verrecken“ zu beschleunigen, müsse man vor allem bürokratische Vorschriften für Bauherren beseitigen, die den Wohnungsbau unnötig verteuerten: „Wir brauchen Wohnungen für die klassische Mittelschicht.“

Scharf wurde die Debatte nochmals beim umstrittenen Baugebiet Schafhaus am Rande des Stadtbezirks Mühlhausen, das ebenfalls mit 250 Wohneinheiten in der Zeitstufenliste enthalten ist. OB Kuhn verwahrte sich gegen den Vorwurf der SPD, er spreche bei dem Thema mit gespaltener Zunge. Er habe auf der letzten Bürgerversammlung in Mühlhausen lediglich deutlich gemacht, dass man erst die Erschließung des Gebiets klären müsse. „Das Projekt hat Ihr Vorgänger versenkt“, erinnerte Kuhn Körner an das Votum der Genossen im Jahr 2010 unter Führung des damaligen Fraktionschefs Manfred Kanzleiter: Die SPD hatte sich seinerzeit mit den Grünen und SÖS/Linke gegen den Bau einer Erschließungsstraße ausgesprochen.