Birgit Keil, 69, wurde 1963 unter John Cranko Erste Solistin am Stuttgarter Ballett. Alicia Amatriain , 33, ist heute der Star auf der Bühne. Ein Gespräch.

Stuttgart - Sie sind beide Ausnahmetalente: Birgit Keil war einer der großen Tänzerinnen in der Stuttgarter Ballettkompanie von John Cranko, Alicia Amatriain ist derzeit Erste Solistin am Stuttgarter Ballett. Ob damals oder heute: ohne Leidenschaft, hartes Training und höchste Disziplin kommt man als Tänzerin nicht weit. Trotzdem hat die junge Generation es heute schwerer als ihre Vorgänger, denn sie muss sich immer noch messen lassen an den Stars des „Stuttgarter Ballettwunders“, wie die Zeit mit John Cranko gern genannt wird.
Birgit Keil Foto: privat
Frau Keil, es wird gern über die Jugend gesagt, sie sei faul. Würden Sie das auch von jungen Balletttänzerinnen und -tänzern behaupten?
Birgit Keil Es gibt überall solche und solche – daran hat sich nichts geändert. Alicia und ich gehören in unserer jeweiligen Generation zu den hart Arbeitenden. Ohne Arbeit nützt das größte Talent nichts.
Sportler müssen immer weiter und höher hinaus. Ist das im Ballett auch so?
Alicia Amatriain Das Ballett entwickelt sich weiter, und in den neuen Kreationen versucht man, die Grenzen zu verschieben. Wobei auch die älteren Stücke für uns sehr große Schuhe sind, die wir füllen müssen. Gerade die Ballette von John Cranko sind sehr schwierig.
Was ist das Schwierige? Die Technik?
Amatriain Nein, es gibt Tausende Tänzer, die die Technik beherrschen, Pirouettes, Fouttés. Aber die alten Tänzer hatten etwas Besonderes. Das gibt es nicht in jeder Generation, das besitzt nicht jeder Tänzer.
Hat die junge Generation andere Stärken als Sie damals?
Keil Heute wird sehr viel Wert auf das Athletische gelegt. Die Beine müssen nicht nur oben sein, sondern noch darüber hinaus. Das finde ich rein ästhetisch nicht immer schön. Der Trend geht zu immer höher, immer stärker gespreizt. Aber man muss aufpassen, dass die künstlerische Entwicklung mithält.
Amatriain Genau. Es geht um die Qualität und nicht darum, wie viele Pirouetten man dreht. Bei den neuen, jungen Choreografen werden die Extreme häufig befördert, sie wollen immer mehr und mehr.
Frau Amatriain, Sie kamen mit 14 Jahren an die Crankoschule. Wie war es, so früh das Elternhaus zu verlassen?
Amatriain Heftig. Ich war in Spanien auf dem Konservatorium, mit 14 war ich mit der Schule fertig und dachte, ich muss weg. Ich habe meine Mutter gefragt, sie hat nur Ja gesagt, weil sie annahm, ich käme nach einem Jahr zurück. Aber Birgit Keil hat mir geholfen, ich bekam von ihrer Stiftung ein Stipendium und bin hier in Stuttgart geblieben.