Belastende Situationen wie die soziale Isolation ziehen das Erbgut in Mitleidenschaft: nicht nur bei Tieren wie den geselligen Graupapageien, sondern vermutlich auch beim Menschen.

Stuttgart - Graupapageien sind nicht gern allein, Mäuse leiden unter Übervölkerung und Menschen werden von langen Perioden mit aufreibenden Aufgaben wie zum Beispiel der Pflege einer nahestehenden Person erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Die Spuren solchen Dauerstresses finden Forscher wie Denise Aydinonat, Franz Schwarzenberger und ihre Kollegen von der Veterinärmedizinischen Universität Wien oder Daniel Notterman von der Princeton-Universität in den USA und seine Kollegen im Erbgut der Betroffenen: Es altert schneller als bei Lebewesen ohne solche negativen sozialen Einflüsse.

 

Graupapageien leben zum Beispiel am Rand der Regenwälder in Zentralafrika in kleinen Gruppen, Paare bleiben vermutlich ihr ganzes, bis zu 50 Jahre langes Leben treu zusammen. Werden diese geselligen Vögel als Haustiere gehalten, haben sie wohl in vielen Fällen keinen Partner aus der eigenen Art. Auch wenn der Käfig noch so gut ausgestattet ist, scheint diese erzwungene Einsamkeit für die meisten Papageien eine Art „Dauerstress“ zu sein. Dessen Spuren wiederum finden sich auch im Erbgut der Tiere, berichten Aydinonat, Schwarzenberger und ihre Kollegen im Online-Forschungsjournal „PLOS One“.

Weil viele Menschen ihren Papageien etwas Gutes tun wollen, bringen sie die Vögel manchmal zu einem Gesundheitscheck beim Tierarzt. Dabei nehmen die Veterinärmediziner auch eine Blutprobe, deren rote Blutkörperchen sie gern den Forschern für ihre Untersuchungen überlassen. Anders als bei Säugetieren und damit auch beim Menschen, steckt in diesen Zellen bei Vögeln ein kompletter Satz des Erbgutes. So konnten die Forscher die DNA von etlichen Tieren untersuchen.

Einsame Graupapageien scheinen schneller zu altern

Fast das gesamte Erbmaterial von Tieren und Pflanzen steckt in Paketen, den sogenannten Chromosomen. Menschen haben normalerweise jeweils 46 Chromosomen in jeder Zelle. Die Forscher interessierten sich vor allem für deren Telomere genannten Enden. Das sind relativ lange DNA-Abschnitte, in denen sich eine Folge von sechs Bausteinen sehr oft wiederholt. Diese Telomere schützen die Chromosomen, werden aber jedes Mal ein Stück kürzer, wenn sich eine normale Körperzelle teilt. „Nach vierzig bis fünfzig Zellteilungen ist damit Schluss“, erklärt Franz Schwarzenberger. Dann ist das Telomer so kurz geworden, dass sich die Zelle nicht mehr teilt.

Die Länge der Telomere ist daher ein Maß für das Alter der Zellen. Das konnten die Wiener Forscher auch bei Graupapageien bestätigen: Je älter die Tiere waren, umso kürzer waren ihre Telomere. Dieser Abbau aber geschieht offensichtlich nicht immer gleich schnell. Verschiedene Einflüsse können ihn beschleunigen, andere bremsen ihn vielleicht auch. „Der stärkste dieser Faktoren ist das Alleinsein“, fasst Franz Schwarzenberger die Studie zusammen. Die Telomere der von ihren Artgenossen isolierten Vögel waren ungefähr so kurz wie die von 15 bis 20 Jahre älteren Tieren.

Verantwortlich für dieses vorzeitige Altern der Zellen ist offensichtlich der Stress der Tiere durch ihre erzwungene Isolation. Darauf weist jedenfalls ein Experiment hin, das Pat Monaghan und ihre Kollegen von der Universität im schottischen Glasgow in der Zeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“ beschreiben.

Stresshormone verändern bei manchen Vögeln das Erbgut

Die Wissenschaftler hatten in einem Naturschutzgebiet auf der schottischen Insel May gerade geschlüpften Küken von Krähenscharben, die mit mitteleuropäischen Kormoranen eng verwandt sind, Stresshormone gespritzt. Später waren die Telomere der kleinen Krähenscharben deutlich kürzer als die der nicht gestressten Tiere aus anderen Nestern. Die Zellen der gestressten Vögel waren also stärker gealtert als bei anderen Küken, die gleichzeitig geschlüpft waren.

Auf Stress als Ursache weist auch ein Experiment hin, das Dustin Penn und seine Kollegen von der Veterinärmedizinischen Universität Wien mit Mäusen gemacht haben. Anders als Graupapageien lebten die Nagetiere aber nicht etwa isoliert, sondern dicht beieinander in Käfigen. Obwohl die Mäuse genug zu fressen hatten, stresste die Überbevölkerung sie. Und erneut waren die Telomere deutlich kürzer als bei Artgenossen, die weniger eng aufeinander hocken mussten.

Solche Zusammenhänge beeinflussen vermutlich auch die Lebenserwartung. In kleineren Vögeln, die oft nur zwei Jahre alt werden, verkürzen sich die Telomere jedenfalls viel schneller als in langlebigen Vögeln wie den Papageien. In diesem Licht stimmen Untersuchungen bei Menschen schon recht nachdenklich: Alleinstehende Mütter mit Kindern in schwierigen sozialen Situationen haben kürzere Telomere als Frauen in besseren Verhältnissen. Ähnliches gilt für Menschen, die ihnen nahestehende Personen längere Zeit anstrengend pflegen. Auch diese langfristige Belastung verkürzt die Enden der Chromosomen.

Studien mit Menschen ergeben ähnliche Ergebnisse

Ein ähnliches Ergebnis erhielten Daniel Notterman von der Princeton-Universität und seine Kollegen, als sie neunjährige Kinder mit afrikanischen Wurzeln in den USA untersuchten. In der Zeitschrift „Proceedings“ der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS) berichten die Forscher, dass die Länge der Telomere dieser Kinder vom Einkommen der Eltern abhängt: Ist das Einkommen der Familie A doppelt so hoch wie das der Familie B, dann sind die Telomere der Kinder aus Familie A immerhin fünf Prozent länger als die gleichaltriger Kinder aus Familie B.

Auch in diesen Fällen spiegeln sich vor allem ein geringes Einkommen und ein niedriges Bildungsniveau der Mutter, aber auch eine kaputte Beziehung der Eltern oder harte Erziehungsmethoden im Erbgut wider. Dabei stellen die Forscher auch einen engen Zusammenhang mit den Nerven-Signalstoffen Dopamin und Serotonin fest, die wiederum mit Glücksgefühlen und depressiven Verstimmungen zusammenhängen. Kinder, die auf diese Hormone besonders empfindlich reagieren, haben in schwieriger Umgebung kürzere Telomere, während ein gutes Zuhause ihnen längere Chromosomenenden beschert.

„Die Telomere spiegeln anscheinend die Summe der Erfahrungen des bisherigen Lebens wider“, fasst Franz Schwarzenberger aus Wien zusammen. Wobei die Telomere aber nur einer von vielen Faktoren sind, die alle zusammen die Lebenserwartung beeinflussen.

Wie sich das Erbgut im Alter verändert

Telomere
Die Enden der Chromosomen, in denen nahezu alle Erbeigenschaften von Organismen stecken, werden Telomere genannt. Bei Wirbeltieren wiederholt sich in den Telomeren die Abfolge der Genbuchstaben TTAGGG einige Tausend Mal. Das Telomer schützt das Chromosom.

Zellteilung
Vermehrt sich eine Zelle, verdoppelt sie ihre Chromosomen, um jeder Tochterzelle das komplette Erbgut mitzugeben. Allerdings funktioniert das nicht ganz: rund hundert Bausteine des Telomers gehen bei jeder Teilung verloren. Bei Vögeln sind die Telomere nach 40 bis 50 Teilungen zu kurz für eine weitere Vermehrung der Zellen.

Reparatur
Telomerase heißt ein Enzym, das die verlorenen Telomer-Bruchstücke wieder ersetzen kann. Allerdings passiert das nur bei bestimmten Zellen, die sich sehr häufig vermehren. Dazu gehören die Ei- und Samenzellen, aber auch die Stammzellen im Knochenmark und bestimmte Zellen des Immunsystems. Auch in vielen Krebszellen sind Telomerasen aktiv, verhindern so das Altern und lassen einen Tumor wuchern.