Sven Diederichs von der Universität Heidelberg und dem dortigen Deutschen Krebsforschungszentrum: „Man nimmt an, dass Krebs eine Krankheit des Genoms ist. Viele Erbgutveränderungen, die wir in Tumoren gefunden haben, betreffen aber gar keine Gene, sondern die Stellen dazwischen. Die hat man lange Zeit stiefmütterlich behandelt und sie einfach ignoriert. Das Projekt Encode zeigt uns nun mit dieser ersten umfassenden Enzyklopädie der Regulationsmechanismen, dass diese Regionen mindestens ebenso wichtig sind. Das ist ein Meilenstein, der zum einen viele kleinere, frühere Studien bestätigt und viele weitere Studien anregen wird. Forscher können künftig einfach nachschlagen, ob Veränderungen außerhalb der Gene eine Funktion haben und ob man diese Funktion schon kennt. Der Blick auf die Daten wird dadurch zielgerichteter. Gleichzeitig verändert sich unsere Sicht, was ein Gen ist. Denn Abschnitte im Erbgut, die in RNA übersetzt werden, haben ja wichtige Aufgaben – auch wenn sie nicht die Blaupause für Eiweiße sein sollten. Uns interessiert zum Beispiel, welche Rolle solche sehr kurze und sehr lange RNA-Stränge bei Leber- und Lungenkrebs spielen.“

 

André Fischer, Sprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen in Göttingen: „Das An- und Abschalten von Genen ist wohl nirgends so wichtig wie in unserem Gehirn. Diese Schalter werden jedes Mal gebraucht, wenn sich eine Nervenzelle verändert, weil wir zum Beispiel etwas lernen oder weil wir eine Erinnerung abrufen wollen. Wir wollen besser verstehen, wie diese Schaltnetzwerke normalerweise funktionieren und was bei Demenzen an ihnen gestört ist. Das Projekt Encode zeigt, dass mindestens 75 Prozent des Erbguts abgelesen wird – oft werden diese Abschriften nicht in Eiweiße übersetzt, sondern sie erfüllen andere Aufgaben. Einige Varianten verstehen wir mittlerweile recht gut: Sie behindern das Ablesen bestimmter Gene und greifen damit in die Eiweißnetzwerke der Nervenzellen ein. Bestimmte Arten können möglicherweise als frühes Warnzeichen einer Demenz wie Alzheimer dienen oder durch Medikamente unterdrückt werden, so dass sich das Erinnerungsvermögen nicht weiter verschlechtert. Allerdings gibt es viel mehr lange Abschriften, deren Funktion wir nicht einmal ahnen. Es bleibt also noch viel zu tun!“

Wolfgang Poller, Kardiologe an der Universitätsklinik Charité in Berlin: „Als das menschliche Erbgut entziffert wurde, dachten wir: Wenn wir die Gene kennen, dann wissen wir auch, wie die Volkskrankheiten entstehen und wie man sie behandeln muss. Doch die Natur ist viel komplexer, als wir es uns ausgemalt haben. Die etwa 20.000 Gene sind nur die unterste Ebene. Obendrauf kommen etliche regulatorische Ebenen. Erkrankungen des Herzmuskels können zum Beispiel klassische Erbleiden sein, die wirklich nur durch eine Genmutationen ausgelöst werden. Das ist aber sehr selten. Viel öfter kommt es vor, dass Patienten mit demselben Genprofil zum Beispiel eine Virusinfektion hatten oder eine Bestrahlung machen mussten oder an einer Autoimmunkrankheit leiden, die sich auch gegen das Herz richtet – und der eine verkraftet das extrem schlecht und braucht später eine Transplantation, der andere dagegen kommt gut damit klar. Der Unterschied liegt in der Regulation. Wenn wir das nun etwas besser durchschauen, können wir auch besser einschätzen, wer eine aggressive Therapie braucht und wessen Körper sich selbst zu helfen weiß.“