Deutsche Genetiker haben das Erbgut des Kiwis entziffert. Der neuseeländische Nationalvogel lebt schon seit rund 35 Millionen Jahren am Boden und schnüffelt dort nach Würmern und Käfern.

Stuttgart - Wenn in stockdunkler Nacht durch einen Wald auf der Nordinsel Neuseelands laut schnüffelnd ein Tier raschelt, wissen die Einheimischen sofort: da ist ein Kiwi unterwegs. Der Kiwi ist schließlich ihr Nationalvogel, der sich allerdings eher wie ein Säugetier gibt. Selbst seine Federn ähneln eher einem flauschigen Pelz, und in seiner Schnabelspitze steckt eine überaus feine Nase, während andere Vogelarten aufs Riechen nicht allzu viel Wert legen. Ganz ohne Schwanz wirkt der Körper seltsam oval und mit ihren kurzen Stummelflügeln haben die hühner- bis entengroßen Vögel nicht den Hauch einer Chance zum Fliegen.

 

Dieses für einen Vogel recht verblüffende Leben am Boden der Wälder führen die Kiwis vermutlich schon seit rund 35 Millionen Jahren, liest eine Forschergruppe um Diana Le Duc und Torsten Schöneberg von der Universität Leipzig, sowie Janet Kelso vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in der gleichen Stadt jetzt aus dem Erbgut der Tiere. Die Forscher berichten darüber in der Online-Fachzeitschrift „Genome Biology“.

„Die Analyse des Erbguts zeigt uns auch wichtige Weichen, die auf dem Weg zu diesem einzigartigen Vogel umgestellt wurden“, erklärt Michael Hofreiter von der Universität Potsdam, der das Projekt begonnen hat. So funktionieren zum Beispiel einige Erbanlagen nicht mehr, die der Kiwi zum Sehen von Farben bräuchte. In der dunklen Nacht nimmt schließlich auch der Mensch, der tagsüber gut Farben sieht, alles nur in Grautönen wahr. In der Biologie verschwinden Eigenschaften oft rasch, die nicht mehr benötigt werden. Als die Kiwis sich zur nächtlichen Jagd am Waldboden entschieden, der auch im Mondlicht recht dunkel bleibt, konnten sie daher getrost auf das Sehen von Farben verzichten – und haben das offenbar auch getan.

Die Nase immer nah am Waldboden

Wie aber findet der Kiwi sein Leibgericht: Würmer, Käfer und Larven, die sich im Waldboden verbergen? Wer in den Gärten und Parks Mitteleuropas einen Igel bei seiner nächtlichen Suche nach Fressbarem beobachtet, sieht ihn häufig am Boden schnüffeln. Offensichtlich riecht er mit seiner feinen Nase seine Beute auch noch unter der Erde. Weil in der Natur Neuseelands Säugetiere wie der Igel schlicht fehlten, bis vor rund 800 Jahren die ersten Menschen eintrafen, haben die Kiwis die Rolle der stacheligen Tiere übernommen. Genau wie diese suchen sie jedenfalls ihre Beute nachts mit einem für die Vogelwelt außergewöhnlich feinen Geruchssinn. „Die hohe Vielfalt der Riechrezeptoren hat sich nach den Erbgutanalysen vor rund 35 Millionen Jahren entwickelt“, sagt Hofreiter.

Während andere Vögel ihre Nasenlöcher an der Basis des Schnabels haben, sind die Geruchsorgane beim Kiwi an die Schnabelspitze gewandert. Steckt der Vogel also die Spitze dieses langen und dünnen Mundwerkzeugs in den Boden, kann er dort seine Beute riechen. Deshalb machen sich Kiwis im nächtlichen Wald oft durch ein recht lautes Schnüffeln bemerkbar.

Auch den nächsten Verwandten der Kiwis verrät die Erbgutanalyse: es handelt sich um die Elefantenvögel, die mit dem für Vögel enormen Gewicht von 400 Kilogramm auf Madagaskar lebten. Vor tausend oder vielleicht sogar erst vor 400 Jahren sind sie ausgestorben. Allzu eng ist die Verwandtschaft aber nicht, der letzte gemeinsame Vorfahre könnte bereits vor 60 Millionen Jahren gelebt haben.

Die schwerste der heute noch lebenden fünf Arten der Kiwis wiegt mit höchstens vier Kilogramm viel weniger als diese Riesen, die von menschlichen Jägern ausgerottet wurden. Den Kiwis dagegen droht eine andere Gefahr: Von den Menschen eingeschleppte Raubtiere von Wieseln und Hermelinen bis zu Hunden und Katzen erwischen so viele Kiwis, dass von hundert Küken gerade noch fünf erwachsen werden. Alle fünf Kiwi-Arten stehen daher auf der Roten Liste der gefährdeten Arten, die von der Weltnaturschutzunion IUCN erstellt werden. In Neuseeland laufen Programme, um die eingeschleppten Raubtiere zu bekämpfen und gleichzeitig Kiwis hinter sicheren Zäunen großzuziehen, bevor sie in die Natur entlassen werden. Auch für diese Zuchtprogramme haben die Forscher eine wichtige Information: Der von ihnen untersuchte Nördliche Streifenkiwi ist zwar mit rund 40 000 Vögeln noch die häufigste Art, sein Erbgut ist allerdings recht einheitlich. Das könnte die Gefährdung deutlich erhöhen. Die Züchter in der Stadt Rotorua sollten daher auf eine möglichst große Vielfalt der bei ihnen großgezogenen Vögel achten.