Das Forum Hospitalviertel hat dafür gesorgt, dass aus einem Hinterhof der Stuttgarter City ein Boulevard wurde. Jetzt wird die Bürgerinitiative selbst Opfer der Aufwertung – und muss aus ihren Büroräumen ausziehen.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Mehr Ironie des Schicksals geht wohl kaum: Das Forum Hospitalviertel, eine Bürgerinitiative, die maßgeblich zur Aufwertung der Gegend rund um die Hospitalkirche beigetragen hat, ist für den eröffneten Investorenkampf um die vielversprechenden Immobilien offenbar als Mieter nicht mehr solvent genug. Das Gebäude an der Fritz-Elsas-Straße, in dem sich die Räumlichkeiten des Vereins befinden, wurde verkauft. Jetzt wurde dem Forum Hospitalviertel von dem neuen Eigentümer zum 30. Juni gekündigt. Den Namen des Investors will dort niemand nennen – ein Funken Rest-Hoffnung, ihn umstimmen zu können, scheint immerhin zu bestehen.

 

Gabi Stein, die Geschäftsführerin des Forums Hospitalviertel, traf die Kündigung völlig unerwartet: „Wir wissen nicht, wie es jetzt weitergehen soll. Klar ist, dass das Forum Hospitalviertel auch hier bleiben muss.“ Geeignete neue Räume seien noch keine gefunden. Stein geht davon aus, dass die Suche nicht leicht werden wird.

Verlockende Angebote von außen

Denn offenbar wird nicht nur im Haus an der Fritz-Elsass-Straße spürbar, dass sich das Hospitalviertel – einst eher ein Hinterhof der City – zum Boulevard gewandelt hat. Der frisch aufgewertete Bereich um die Hospitalkirche an der Büchsenstraße hat massig Investoren angelockt. „Viele Immobilieneigentümer werden angeschrieben“, sagt Eberhard Schwarz, Pfarrer der Hospitalkirche und Vorstandsmitglied des Forums Hospitalviertel.

Das bestätigt auch Stefan Willwersch vom Architektenbüro Willwersch-Architekten. Auch der Branchenkenner beobachtet, dass Investoren massiv ins Hospitalviertel gedrängt haben. „Viele Möglichkeiten hat man ja nicht in der Innenstadt, Bauprojekte zu realisieren“, sagt er. Die Immobilien im Hospitalviertel, so Willwersch weiter, seien so begehrt, dass sich seiner Kenntnis nach aktuell keine einzige mehr auf dem Markt befindet: „Alles, was zum Verkauf stand, ist weg.“

Nicht alles steht zum Verkauf

Doch es stand und steht offenbar nicht alles zum Verkauf. Denn das Hospitalviertel ist keineswegs nur ein Shopping-Boulevard oder ein reines Wohngebiet. Es beherbergt auch viele Sozialdienste. Die immerhin scheinen verlockenden Angeboten gegenüber hartnäckig zu bleiben – sofern sie auch die Immobilieneigentümer sind.

Den sozialen Geist im Quartier bewahren

Die Evangelischen Gesellschaft (Eva) Stuttgart etwa will für ihren Gebäudekomplex an der Büchsenstraße, wo sie zahlreiche Beratungsstellen und eine Tafel für Arme unterhält, eine Summe geboten bekommen haben, „für die man woanders zwei Gebäudekomplexe dieser Größe bekommen hätte“, wie Peter Meyer, Leiter der Stadtmission, sagt. Dennoch sei nicht daran zu denken, den Standort in der City aufzugeben – schließlich gebe es 23 000 Besucher im Jahr, die allein durch den Mittagstisch für den kleinen Geldbeutel versorgt würden.

Den sozialen Geist im Quartier zu bewahren – daran appellierte auch Pfarrer Schwarz vergangene Woche, als er Interessierte bei einem Spaziergang durchs Viertel führte. Mit dem Forum Hospitalviertel haben die Investitionen von außen auch die Nikolauspflege, eine Stiftung, die Sehbehinderte unterstützt, getroffen. Teile der Büroflächen sind im selben Bau wie der Stadtentwicklungsverein. Die Nikolauspflege trifft die Kündigung nicht ganz so hart: „Wir ziehen ins Cannstatter Carré. Das liegt in der Nähe zum Gewerbegebiet im Neckarpark, wo wir ohnehin Niederlassungen haben“, sagt Dieter Feser, Vorstandsvorsitzender der Nikolauspflege.

Keimzelle des Klinikums

Pfarrer Eberhard Schwarz wirbt für die unbedingte Erhaltung der sozialen Strukturen und Einrichtungen im Viertel. Wenn auch manchmal versteckt, sind das einige: Die Diakonie Stetten, der Kompass oder die städtische Schwangerschaftsberatungsstelle, das Jugendhaus Mitte und die ebenfalls von der Eva betriebene Wärmestube. „Das ist hier über Jahrhunderte so gewachsen“, sagt Schwarz.

Das Hospitalviertel ist im 15. Jahrhundert auf dem Reißbrett entstanden. „Soziale Dienste gab es hier schon damals“, sagt Schwarz. Etwa die Stiftung der Katharina von Elfenstein, die die „Keimzelle“ des Klinikums Stuttgart gelegt habe. Oder das Beginen-Haus in der Büchsenstraße, wo der Orden sich sozial engagierte. In Sachen sozialer Angebote sei das Hospitalviertel nicht nur Vorreiter gewesen, sondern habe in dieser Hinsicht „Links“ in die ganze Stadt gesetzt.

Zahl der Bevölkerung steigt

Diese Worte, sich der historischen DNA des Viertels zu erinnern, richtet Eberhard Schwarz an Menschen wie Hermann Sinner, dessen Familie ein Haus im Hospitalviertel besitzt. Er bestätigt, dass Investoren ein Auge auf das Quartier geworfen haben: „Wir haben in letzter Zeit viele Anfragen erhalten.“ Verkauft hat er aber nicht.

Anders als Sinner haben offenbar viele Hauseigentümer an der Leuschnerstraße gehandelt. Pfarrer Schwarz deutet auf einen Straßenzug, den Wüstenrot erworben habe, um hochwertige Wohnungen zu bauen. Die Bevölkerung des Quartiers, schätzt Gabi Stein, die Geschäftsführerin des Forums Hospitalhof, ist seit der Sanierung des Viertels von 800 auf 1000 Bewohner gestiegen. Es deutet sich also an, dass die Investoren dort eher Wohnraum denn Gewerbeflächen sehen.

Eine Nutzung, der das Forum Hospitalhof nicht unbedingt widerspricht. „Aber nicht zu dem Preis, dass die Armen verdrängt werden“, sagt Schwarz. Einen gewissen Symbolwert könnte Bank entwickeln, die er von der Stadtverwaltung auf dem Hospitalplatz vor seiner Kirche fordert, die ihm diese jedoch bislang verwehrt. Einerseits könnte man einfach darauf sitzen. Andererseits könnte sie auch ein Zeichen sein: Damit das Hospitalviertel ein soziales Viertel bleibt.