Das Reustener Bergcafé ist bei Studenten und Professoren bekannt. Einheimische sitzen dort selten an den Tischen.

Reusten - Was hat sich denn bitte im Bergcafé in Reusten (Kreis Tübingen) geändert, seit die beiden Wirtinnen, die weithin bekannten alten Damen Marie und Sophie, nicht mehr leben? "Es gibt keine dicken, grünen Tischdecken mehr", sagt Ionna Savidou und lächelt. Stimmt, die Tische in der Gastwirtschaft sind hellorange bedeckt. Aber sonst ist die Einrichtung samt Holztäfelung unverändert geblieben. "Und einen schlotzigen Kartoffelsalat mit Saitenwürschtle gibt es auch noch", sagt die Griechin mit einer prima schwäbischen Aussprache. Bis auf die Würste macht sie fast alles, was die Speisekarte hergibt, selbst, und zwar einschließlich der Kuchen.

Die Schwestern Marie und Sophie Haupt und ihr Bergcafé waren von 1954 an fast fünf Jahrzehnte lang ein beliebtes Ausflugsziel, auch - aber bei weitem nicht nur - für Tübinger Studenten samt ihren Professoren. Sophie ist 1997 gestorben, Marie 2003, im Alter von fast 92 Jahren. Doch die Gäste erklimmen weiterhin den steilen Berg und gehen hinauf ins helle Bergcafé. Nur Reustener selbst sitzen dort nicht so oft an den Tischen. Das war schon immer so. Womöglich hat sich der eine oder andere in blauer Arbeitskluft nicht recht wohlgefühlt zwischen den Professoren. Vielleicht hat sich mancher gewundert, wie es die Schwestern zwischen 1950 und 1954 geschafft haben, dort oben zu bauen, trotz der Gerüchte im Dorf um eine fehlende Baugenehmigung. Und sollte dort nicht eigentlich statt der Gastwirtschaft ein Waisenhaus entstehen? Wie auch immer, Hintergründe wie diese mag die Reustener Ortschronik beleuchten. Immerhin: der erste Fernsehapparat im Ort soll zur Freude der Ortsansässigen dort oben gestanden haben - angeschafft für die Fußball-Weltmeisterschaft 1954.

Herzlichkeit und Wärme


Ioanna Savidou jedenfalls freut sich über alle Besucher. Sie lebt seit mehr als zehn Jahren im Bergcafé. "Marie habe ich bis zu ihrem Tod gepflegt", erzählt sie. Obwohl die im Dorf lebende Nichte und Erbin der alten Damen ihr die Pacht schon im Jahr 2000 übertragen hat, hatte ihr Marie zumindest vor den Gästen eine andere Rolle zugedacht: "Hat Ihnen die Magd noch nichts gebracht?" Marie, vom Alter gebeugt in ihrem Strickrock, sah sich stets als Chefin. Viele Gäste werden sich an ihre typische Fragen erinnern: "Wo kommen Sie her? Was machen Sie? Ach, dann kennen sie bestimmt denjenigen...". Der Griechin hat sie mehrfach das Versprechen abgenommen, "gell, solange du da bist, muss ich nicht ins Heim". Ioanna Savidou hat Wort gehalten. Episoden wie diese erzählt sie mit viel Herzlichkeit und Wärme.

Sie selbst lebt seit 18 Jahren in Deutschland, so wie auch die meisten ihrer sechs Geschwister. Für das neue Leben sah sie sich dank der Sprachkurse im Goethe-Institut noch in Griechenland gut vorbereitet. "Die Zeitung konnte ich lesen, Fernsehprogramme habe ich gut verfolgen können - nur auf der Straße habe ich kein Wort verstanden", erinnert sie sich an ihre erste Bekanntschaft mit dem schwäbischen Idiom. Für ihre Mutter sollte sie ein Bauernbrot beim Bäcker kaufen. Ein "Vesperlaible" wurde ihr angeboten. Sie ging unverrichteter Dinge heim, "was wollen die mit meinem Körper, meinem Leib?", hatte sie sich gefragt.