Verbraucher- und Umweltschützer gehen gegen TTIP auf die Barrikaden, die Industrie sieht das Freihandelsabkommen als pure Notwendigkeit. An vorderster Front der Lobbyarbeit: Deutschlands mächtige Autobauer.

Stuttgart/Berlin - Schon auf den ersten Blick fallen die Unterschiede ins Auge. Der Blinker rot, der Seitenspiegel gekrümmt, das Nummernschild nur halb so lang - dafür aber höher. Autos für den europäischen und amerikanischen Markt unterscheiden sich bereits rein äußerlich. Und unter der Haube wird es erst richtig interessant.

 

Warum müssen in der EU und den USA verschiedene Standards gelten? Das fragen sich auch deutsche Autobauer, die das Reizthema TTIP umtreibt: Milliarden würden jedes Jahr für unnötige Doppelarbeit versenkt. Das geplante transatlantische Freihandelsabkommen soll Abhilfe schaffen. Doch Kritiker fürchten eine massive Aushöhlung europäischer Regeln.

„Derzeit verschwenden wir Geld, weil wir jeweils unterschiedliche Spiegel, Blinker oder Rücklichter benötigen“, klagte Daimler-Chef Dieter Zetsche jüngst beim Branchenverband VDA in Berlin. „Oder weil wir unterschiedliche Sicherheitsvorschriften erfüllen müssen, zum Beispiel bei Crashtests.“ Top-Automanager hatten sich Ende Januar bei VDA-Chef Matthias Wissmann versammelt, um gegenüber der Politik Druck für TTIP zu machen - und auf mögliche Folgen für Jobs hinzuweisen.

Nach Angaben Zetsches gingen 2014 gut 14 Prozent aller deutschen Pkw-Ausfuhren in die USA, ihr Wert lag bei über 20 Milliarden Euro. Schaut man auf die Fahrzeuge selbst, scheint die Lobbyarbeit durchaus nachvollziehbar. Etwa bei elektrischen Lenkungen oder Steuersystemen für Airbags gelten abweichende Regeln. Damit nicht genug: „Reifen haften auf beiden Seiten des Atlantiks gut. Sicherheitsgurt-Systeme schützen in der EU und in Amerika den Autofahrer und die Passagiere“, sagte Audi-Chef Rupert Stadler. „Es ist aber bisher nicht möglich, ein in Europa zugelassenes Auto einfach auch in den USA zuzulassen.“ Mehraufwand und Mehrkosten schneiden so auch Zulieferern ins Fleisch. Die EU beachte internationale, die USA hielten sich an eigene Regeln, sagte eine Bosch-Sprecherin: „Um die länderspezifischen Vorgaben zu erfüllen, müssen wir regelmäßig Änderungen an Produkten vornehmen.“

Dabei unterschieden sich die Autos dies- und jenseits des Atlantiks in puncto Sicherheit gar nicht so stark, betont die EU-Kommission, die gerade die 8. Verhandlungsrunde mit den USA abgeschlossen hat: „Es gibt wenig Zweifel, dass das Sicherheitsniveau, das beide Seiten verlangen, weitgehend vergleichbar ist.“ Einige nach US-Regeln gebauten Fahrzeuge seien auch für europäische Straßen zugelassen.

Opel testete per Selbstversuch, was ein Abkommen an Erleichterungen bringen könnte. Im vergangenen Jahr entwarfen die Rüsselsheimer ein Adam-Modell unter TTIP-Bedingungungen: Front, Heck, Scheinwerfer, Beleuchtung und Airbag wurden angepasst. Wie viel man auf diese Weise einsparen würde, wollte ein Sprecher allerdings nicht beziffern.

Die sogenannten nicht-tarifären Handelshemmnisse wie Standards und Zulassungsregeln sind für die Unternehmen mindestens ebenso entscheidend wie hohe Zölle. Für Verbraucher erschienen diese Themen unerheblich, meinte VW-Chef Martin Winterkorn voriges Jahr beim Wirtschaftstag der CDU. „Für die Unternehmen aber bedeutet es zusätzliche Arbeit und Kosten.“

Gewerkschafter und Betriebsräte sehen TTIP skeptisch

Viel skeptischer sehen TTIP dagegen Gewerkschafter und Betriebsräte. Sie warnen vor einem Abwärtswettlauf mit den USA. Vor allem stören sie sich an der Frage des Investorenschutzes, der Klagen vor privaten Schiedsgerichten bringen könnte. „Europa und die USA sind kein rechtsfreier Raum, in dem es solche Maßnahmen bräuchte“, betonte IG-Metall-Chef Detlef Wetzel zusammen mit sieben Auto-Betriebsräten.

Zudem müsse die Beteiligung der Belegschaften gesichert werden. So ist die Vertretung der Mitarbeiter in den Werken von Mercedes-Benz in Tuscaloosa (Alabama) und von VW in Chattanooga (Tennessee) für die US-Gewerkschaft UAW ein heißes Eisen. „Wir haben nichts dagegen, wenn Zölle gesenkt und technische Standards geschaffen werden“, sagte VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh. Aber er fügte hinzu: „Hier geht es auch um Menschen, nicht nur um wirtschaftliche Interessen.“

Eine Aufweichung von Umwelt- und Sozialstandards sieht Bosch-Chef Volkmar Denner nicht. Diese seien in den USA „auch sehr anspruchsvoll und teilweise höher als in Europa“. Crashtests oder Abgasvorschriften seien einst von der anderen Seite des Atlantiks gekommen: „Als Folge wurden neue Technologien wie Airbags und Katalysatoren eingeführt.“ Gemeinsame Normen wären auch im Sinne der schleppend anlaufenden Elektromobilität, wo etwa verschiedene Ladestecker noch für Verwirrung sorgen. Das glaubt sogar der Herr über die PS-starken Sport- und Geländewagen aus dem Haus Porsche, Matthias Müller: „Je früher international kooperiert wird, desto besser stehen die Chancen, dass sich die Handelspartner auf gemeinsame Regeln einigen.“