Die neuen Stuttgarter Einkaufszentren Gerber und Milaneo werden von Stadtplanern als problematisch eingestuft. Damit könne man die Innenstadt in Stuttgart nicht stärken, lautet der Vorwurf.

Stuttgart - Für Andrea Poul, die Centermanagerin des Milaneo, ist noch Luft nach oben. Sie ist vor wenigen Tagen auf Einladung der Wirtschafts- und Industrievereinigung Stuttgart (WIV) gebeten worden, ihre Sicht zum Thema Shopping-Mall und Stadtentwicklung darzustellen. Poul sieht keine Probleme, wenn innerhalb kurzer Zeit zwei neue große Einkaufszentren eröffnen. Die Landeshauptstadt habe eine hohe Kaufkraft, es herrsche Vollbeschäftigung und die Königstraße liege unter den Top 3 der frequenzstärksten Einkaufsmeilen in Deutschland.

 

Stadtplaner sehen die Entwicklung allerdings deutlich kritischer. Für den Sozialwissenschaftler Tilman Harlander steht beispielsweise fest: „Gerber und Milaneo sind keine Konzepte, die sich zum Stadtraum hin öffnen.“ Der ehemalige Dekan der Architekturfakultät bezeichnet die beiden Center als „introvertiert“ und fügt hinzu: „Im Ausland, beispielsweise bei Einkaufszentren in Innsbruck oder Kopenhagen, werden solche planerischen Prinzipien seit längerer Zeit bereits beherzigt.“ Speziell das Europaviertel, in dem sich das Milaneo befindet, hätte nach Meinung Harlanders ein Beispiel für moderne Urbanität werden können. „Leider ist es nun ein Beispiel für reine Investorenarchitektur geworden.“

Kritik übt auch Franz Pesch: „Der Import der für die Peripherie gedachten Shopping-Mall in die Zentren vermag die gewünschte Urbanität nicht wiederzubringen“, sagt der Direktor des Lehrstuhls Stadtplanung und Entwerfen der Universität Stuttgart. Das bedeutet: was auf der grünen Wiese funktioniert, gehört nach Meinung Peschs nicht in die City.

Milaneo will eine bessere Anbindung an den Bahnhof

Die Center wehren sich naturgemäß gegen die Kritik. Während sich das Milaneo für eine bessere Anbindung an den Bahnhof einsetzen will, betont das Gerber die für eine Mall ungewöhnlich zahlreichen Ein- und Ausgänge im Erdgeschoss. Das Einkaufszentrum Gerber eröffnet am kommenden Dienstag, das Milaneo am 9. Oktober. Somit nehmen zwei Malls mit zusammen 70 000 Quadratmetern Verkaufsfläche fast zeitgleich ihren Betrieb auf.

Den Grund, weshalb solche Zentren im Herzen der Stadt und nicht auf der grünen Wiese entstehen, erklärt Pesch so: In der Nachkriegszeit sei der Handel zunehmend ins Umland abgewandert. „Dies wurde mithin sehr zu Recht als Bedrohung für die Stadtzentren erkannt“, schreibt er im Vorwort einer Doktorarbeit von Anne Mayer-Dukart mit dem Titel „Handel und Urbanität“. Dabei kommt Pesch in Sachen Einkaufszentren zu einem aus Stuttgarter Sicht ernüchternden Fazit. Er spricht von einem „städtebaulich problematischen Schema, das die Frage nach einer zukunftsfähigen Weiterentwicklung der Innenstädte sicher nicht beantworten kann.“ Und: das Interesse an einer Vernetzung des Handels im urbanen Umfeld sei bei den Entwicklern der großen Center nur schwach ausgeprägt. Soll heißen: die Investoren achten allein auf das eigene Projekt.

Das Gerber betont die zahlreichen Ein- und Ausgänge

Centermanagerin Andrea Poul hat sich an besagtem Abend auch zur Stadtplanung im Europaviertel nördlich des Bahnhofs geäußert. „Dort wird es einmal 11 000 Wohnungen geben“, sagt sie. Eine Zahl, auf der die Milaneo-Chefin auch auf Nachfrage beharrte. Nach Angaben der Stadt sind auf dem Gebiet zwischen Hauptbahnhof und Wolframstraße jedoch nicht mehr als 1300 Wohneinheiten vorgesehen. Auch die Ansicht der Städtebauer, die Center würden sich kaum zum öffentlichen Raum hin öffnen, wird nicht geteilt. Das Milaneo hat vier Haupteingänge, die sich zum Bahnhof richten. Zudem wolle man sich für eine bessere Verbindung zwischen dem Einkaufscenter und dem Bahnhof einsetzen und hoffe auf einen Austausch der Kunden, erklärte Poul.

Das Gerber wird zwar von Experten ebenso als klassische Mall bezeichnet, gilt aber als besser in seine Umgebung integriert. „Ich kenne kein Center, das so viele Ein- und Ausgänge hat wie das Gerber“, sagt Frank Lebsanft, der Pressesprecher des Projektentwicklers Phoenix. „Die Öffnungen im Erdgeschoss waren eine Vorgabe der Stadt, die von allen Händlern umgesetzt wird“, bekräftigt er. Die Stadt sieht die Center nach Aussage von Ines Aufrecht, der Leiterin der Wirtschaftsförderung, als „Vorbild für die Händler in der City“. Die Entwicklung sei eine Chance für kleine Betriebe, da die Mieten in den Nebenlagen nicht weiter steigen werden, glaubt sie. Ein konkretes Konzept wurde aber nicht vorgestellt. Um den Handel in der City zu unterstützen soll es am 1. Oktober erstmals einen Runden Tisch mit dem Namen „Handelsstandorte verbinden – Stuttgart wächst zusammen“ geben, so Aufrecht.

Mehr als einen kommerziellen Nutzen bieten

Die Stadtplaner haben bei aller Kritik auch eigene Ansätze, wie City und Center zusammen finden können: In der Vergangenheit hätten vor allem die Ansiedlungen großer Shopping-Malls zu Konflikten mit dem innerstädtischen Umfeld geführt, schreibt Anne Mayer-Dukart in der Zusammenfassung ihrer Promotion. Ihr Gegenentwurf: Nutzungsmischung, Passagen, Einkaufshöfe, offene Anordnung. „Die Bauvolumen großer Einkaufszentren können den räumlichen Maßstab der historischen Zentren sprengen“, so Mayer-Dukart. Aus ihrer Sicht müssten Investoren in übergeordnete Konzepte eingebunden werden. Dann sei auch Platz für nicht-kommerzielle Nutzungen.