Die beiden Einkaufszentren Gerber und Milaneo stehen kurz vor der Eröffnung. Sie sind äußerst umstritten, die meisten sind dagegen. Deshalb stellt sich die Frage: Wer hat die Projekte im Gemeinderat dann beschlossen?

Stuttgart - Die vor der Eröffnung stehenden Einkaufszentren Gerber an der Tübinger Straße und Milaneo beim Hauptbahnhof gelten als umstritten. Die Verkehrsbelastung, die Architektur sowie die neue Konkurrenz im Einzelhandel veranlassen etwa OB Fritz Kuhn (Grüne) zur Feststellung, er halte diese Projekte für unnötig. Da auch FDP-Fraktionschef Bernd Klingler einräumte, bei ihm überwiege das Bedauern, und Alexander Kotz (CDU) sagt, „mit dem Wissen und dem Erleben der vergangenen Jahre würde man das A-1-Areal am Bahnhof so nicht mehr aufsiedeln“, stellt sich die Frage, wer die Projekte im Rathaus eigentlich genehmigt hat. Thomas Adler (SÖS/Linke Plus) wundert sich, „dass nun alle so tun, als hätte niemand eine politische Entscheidung dafür gefällt“.

 

Die Debatten um den zuerst „Quartier S“ und später „Gerber“ genannten Neubau anstelle des Büro- und Geschäftskomplexes der Württembergischen Lebensversicherung zwischen Tübinger und Marienstraße dauerten von 2008 bis 2010 – und zwar in Kenntnis dessen, was hinterm Hauptbahnhof akzeptiert worden war. Entsprechend groß war die Skepsis im Gemeinderat, zumal die Grünen 2009 stärkste Fraktion geworden waren und sich mehr Härte in den Verhandlungen mit Investoren vorgenommen hatten.

Mit einer Mehrheit von Grünen, CDU, FDP und Freien Wählern war ein nachgebesserter Auslegungsbeschluss des Bebauungsplanes gefasst worden, die SPD lehnte das Projekt trotz einiger guter Kompromisse ab, ebenso SÖS/Linke. Die Bereitschaft der Bauherren, die Zahl der Parkplätze zu reduzieren und die Hauptzufahrt zu optimieren, hatte die Grünen letztlich veranlasst, das Projekt mitzutragen.

Auch SPD-Stadtrat Pfeifer war für das Gerber

Im Juli 2010 beschloss der Gemeinderat bei 14 Gegenstimmen den Bebauungsplan für das Gerber-Gebiet. Grüne, CDU, Freie Wähler und FDP haben dem Projekt den Weg geebnet, die SPD war – mit Ausnahme des Fraktionsvize Hans Pfeifer – bei ihrem Nein zum „monotonen Block“ geblieben, der sich nicht ins Stadtbild einfüge. Das wurde auch als Schlag ins Gesicht des Genossen Matthias Hahn gewertet, dem zwischen den Interessen von Investoren sowie örtlichen Einzelhändlern und Lokalpolitikern vermittelnden SPD-Baubürgermeister.

Der damalige OB Wolfgang Schuster (CDU) dankte seinerzeit der W & W-Gruppe „für ihre große Investition“. Kurz darauf hatten die Firmen ECE Projektmanagement Strabag AG und Bayerische Immobilien GmbH gute Gründe, sich bei Schuster zu bedanken, hatte er doch mit seiner Unterschrift den Investoren für das Einkaufszentrum Milaneo, ein Hotel mit 150 Zimmern und rund 400 Wohnungen einen positiven Bescheid auf ihre Bauvoranfrage zukommen lassen. Damit ließen sich hinterm Hauptbahnhof 1680 Stellplätze realisieren. Dabei hatte die öko-soziale Mehrheit im Gemeinderat dringend an den OB appelliert, nicht über ihre Köpfe hinweg Zusagen zu erteilen. Grüne, SPD und SÖS/Linke hielten knapp 1300 Stellplätze für ausreichend und hatten das auch beschlossen. Für den heutigen SPD-Fraktionschef Martin Körner steht fest: Schuster habe dem Milaneo den Weg geebnet.

1998 fiel die Entscheidung für die Bebauung

Betrachtet man den städtebaulichen Vertrag isoliert, hat Körner recht. Der Sündenfall datiert allerdings schon von 1998, als der Gemeinderat nicht nur mit den Stimmen von CDU, FDP und Freien Wählern, sondern auch mit jenen der SPD (außer Rolf Penzel) den Bebauungsplan für das Viertel fasste. Der Genosse Rainer Kußmaul hatte sich damals gar zur Aussage verstiegen, das Vorhaben sei alternativlos. Gegen die Planung stimmten 14 Stadträte von Grünen, „Republikanern“ sowie Gerhart Scheerer (ÖDP).