Es ist eigentlich nur ein neuer Straßenbelag - und doch dürfte er die Tübinger Straße vollkommen verändern. Anwohner und Geschäftsleute jedenfalls setzen größte Hoffnungen auf den neuen „Shared space“ und feierten ihren Neustart beim Gerberfest.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Es ist eigentlich nur ein neuer Belag – und doch dürfte er die Tübinger Straße vollkommen verändern. Das zeichnete sich am Samstag bei der Eröffnung schon ab. Von der Querspange bis zur Sophienstraße ist die Tübinger Straße nun in etwas verwandelt worden, wofür es gar kein richtiges deutsches Wort gibt: „Shared space“ (geteilter Raum) nennen die Planer die aus den Niederlanden stammende Verkehrsidee, eine Straße so umzugestalten, dass Autofahrer, Fußgänger und Radler sie gleichberechtigt nutzen. Wolfgang Schanz, der Chef des Tiefbauamts, hat den Begriff mit „Mischverkehrsfläche“ übersetzt; prickelnd ist auch dieses Wort nicht.

 

Das, was in der Tübinger Straße nun zu besichtigen ist, aber umso mehr. Ein Asphaltband in der Mitte der Straße markiert den Bereich, der künftig den Autos vorbehalten ist; es ist so schmal, dass man abwarten muss, ob sich die Autofahrer überhaupt in die Tübinger Straße hineintrauen. „Es könnte sich so ähnlich entwickeln wie in der Bolzstraße“, meinte Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle: „Da fahren auch nur noch jene, die unbedingt ihr Gefährt vorführen wollen.“ Links und rechts des Asphaltbandes sind breite, mit weißem Pflasterstein ausgelegte Flanierbereiche entstanden. In riesigen Metalltrögen stehen Schatten spendende Bäume, am Delphi-Kino begrenzen lange Bänke diese Tröge. Fast alle Verkehrsschilder sind verschwunden, ebenso wie die 37 Parkplätze. Das war Pflicht, um den Raum für die Fußgänger übersichtlich zu halten; es öffnet aber auch den Blick in die Straße hinein.

Große Hoffnungen bei Anwohnern und Geschäftsleuten

Und der ist so, dass die Anwohner und Geschäftsleute größte Hoffnungen auf den neuen „Shared space“ setzen. Bisher sei die Tübinger Straße so von den Autos belastet gewesen, dass man als Fußgänger schnell durchgegangen sei, sagte Kienzle: „Jetzt schaut man erstmals auf die Hausfassaden und ist überrascht, wie schön sie sind.“ Fast alle Inhaber der Läden an der Tübinger Straße sind glücklich über die Aufwertung. „Bisher war dies eine schlechte 2B-Lage“, meint Wolfgang Volkmann, der Chef von E+H Meyer: „Die Verbesserung ist gut für die Menschen hier. Im Gegensatz zu anderen Straßen sind die Geschäfte noch nicht austauschbar.“ Auch Pat Kallas, Inhaber einer Modeboutique, und Tamer Bilgi, der Chef der Espressobar „Mocca“, sind begeistert von der neuen Straße. Sie haben vor kurzem eine Initiative gegründet und wollen gemeinsam mit den Handelstreibenden jährlich ein Fest veranstalten. So gab es am Samstag nicht nur staatstragende Reden, sondern auch schmissige Musik.

Auch Phoenix, der Entwickler des im Bau befindlichen nahen Einkaufszentrums „Gerber“, hat sich an den Kosten für das Fest beteiligt. Das stimmt manche Handelstreibende etwas zuversichtlicher, dass sich Großer und Kleine nach der Eröffnung der Shopping Mall im Jahr 2014 vertragen. Denn es gebe durchaus Befürchtungen in der Tübinger Straße, so Veronika Kienzle, dass das große Einkaufszentrum die kleinen Läden erdrücke.

Citymanager will Gerberviertel stärker an die City anbinden

Hans H. Pfeifer, Citymanager und SPD-Stadtrat, sieht das nicht so. Mit der neuen verkehrsberuhigten Zone und mit dem Gerber kämen deutlich mehr Menschen in die Tübinger Straße: „Es liegt jetzt auch an den Geschäftsleuten, etwas daraus zu machen.“ Eine Aufwertung komme zudem durch den Trekkingausrüster Globetrotter, der 2014 als Ankermieter in das etwas verwaiste Tübinger Carré (ehemals Eberhardpassagen) einziehen will.

Pfeifers Ziel ist es im Übrigen, das Gerberviertel wieder stärker an die Innenstadt anzubinden. Dazu sei es wichtig, die Eber-hardstraße im Bereich des Tagblattturmes umzugestalten, damit sie für Fußgänger attraktiver wird: „Dann könnte es zu einem neuen Rundlauf vom Gerber über die Eber-hardstraße zur König- und Kronprinzstraße kommen“, sagt Pfeifer. Man könne dadurch aber auch einen deutlichen Schwerpunkt setzen gegen das ebenfalls im Bau befindliche Einkaufszentrum Milaneo im Europaviertel.

Weitere Investitionen sind bereits geplant. Der Bezirksbeirat hat durchgesetzt, dass entgegen früherer Planungen der „Shared space“ in der Tübinger Straße weitergeführt wird bis zur Paulinenbrücke; im nächsten Jahr soll dieser Abschnitt angegangen werden. Auch die Marienstraße werde aufgewertet, sagte Wolfgang Schanz. Bisher leide die Fußgängerzone dort unter den vielen Spielhallen, sagte Veronika Kienzle: „Da werden unglaublich hohe Mieten gezahlt, so dass sich normale Geschäfte kaum noch ansiedeln können. Durch einen schöneren öffentlichen Raum wollen wir gegensteuern.“ Insgesamt investiert die Stadt nochmals drei Millionen Euro, zusätzlich zu den 1,2 Millionen Euro, die der jetzt eröffnete erste Abschnitt an der Tübinger Straße gekostet hat.