Der ehemalige Profisportler Gerd Dörich fährt mit blinden und behinderten Kindern in die Steilkurve der Radrennbahn. Auf dem hinteren Sitz seines Tandems wird dann gejauchzt, gelacht und gekreischt. „Das ist das Größte“, erklärt der 46-Jährige die Aktion.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)
Gäufelden - In der Schleyerhalle verabschiedete sich Gerd Dörich 2008 von seinen Fans als Profisportler. Vier Jahre zuvor hatte er dort das Sechs-Tage-Rennen gewonnen. Mittlerweile steckt der gebürtige Sindelfinger seine Energie in ein Projekt für seh- und anderweitig behinderte Kinder und Jugendliche: Er nimmt sie mit in die Steilkurve der Öschelbronner Radrennbahn. „Für die Kinder ist es ein Highlight“, erklärt er seinen Einsatz, „und ich habe das Gefühl, das Richtige zu tun.“
Herr Dörich, das klingt nach einem heftigen Adrenalinstoß: Man sieht nichts und saust durch die Steilkurven einer Radrennbahn. Erklären Sie uns Ihre Aktion, bitte.
Bei uns erleben die Kinder und Jugendlichen etwas ganz Besonderes. Außer sie fahren Achterbahn.
Ist es wirklich so abenteuerlich?
Naja, wir sausen nicht. Wir sind höchstens mit 25 bis 35 Stundenkilometer unterwegs. Sportler erreichen dagegen 60 Stundenkilometer. Aber neben diesem Erlebnis geht es auch darum, dass die Kinder sich sportlich betätigen. Sie müssen in die Pedale treten, sonst fährt das Rad nicht. Und sie sollen das Gefühl erleben, dass sie sich jemanden anvertrauen können.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
In meinen 18 Jahren als Radrennprofi hatte ich viel mit Kindern zu tun, beim Sechs-Tage-Rennen gab es beispielsweise immer einen Tag für den Nachwuchs. Das hat mir Spaß gemacht. Ich habe selbst Kinder, bin ziemlich kinderfreundlich. Es ist einfach toll, wenn man sieht, dass sie sich freuen. Und bei den Paralympics fahren blinde Sportler Fahrrad. Deshalb dachte ich, das müsste man für blinde Kinder machen, damit sie Spaß haben.
Wie kam Ihre Idee bei den Kindern und Jugendlichen an?
Zum ersten Sommerfest 2012 in der Radrennbahn Öschelbronn kamen nur 50 Leute. Es war trotzdem klasse. Wir waren noch unsicher, ob die Kinder den großen Zitterer bekommen und Angst haben. Aber alle, die da waren, haben sich aufs Tandem gesetzt. Ein Junge hatte sich bis kurz vor Schluss nicht getraut, dann wollte er plötzlich doch und hinterher war er richtig glücklich. Im vergangenen Jahr sind übrigens 250 Besucher gekommen. Die Eltern sagen immer: Es ist ein Highlight, weil es so etwas sonst nicht gibt. Menschen mit einer Behinderung haben ja oft einen sehr geregelten Tagesablauf, weil sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind. Und deshalb wird es den Kindern und Jugendlichen natürlich irgendwann langweilig.
Wie läuft die Fahrt mit Ihren Co-Piloten ab?
Beim Sommerfest sind zwei Tandems unterwegs, Karsten Wörner fährt das andere. Bei den Tandems handelt es sich um Spezialmaschinen, die extra stabil für unsere Aktion gebaut wurden. Ein Helfer setzt die Kinder auf den Sattel und schubst uns an. Wir gehen es langsam an, fahren erst im flachen Bereich und Stück für Stück auf die Bretter. Wenn ich in der Steilkurve mal abkippe, ist die Freude am Größten. Da wird dann hinten gejauchzt, gelacht und gekreischt. Und die Kinder rufen: Noch mal, noch mal! Das ist das Größte für mich. Das gibt mir das Gefühl, das Richtige zu tun.
Sind Sie noch als Radfahrer im Rennen?
Am 26. Juli starte ich zum Spaß bei einem Ehemaligen-Rennen in Oberhausen bei Karlsruhe. Es wird bestimmt lustig. Aber der Radsport in Deutschland ist tot – wegen der Dopingproblematik. In meiner Jugend hatte noch jede Ortschaft ihr Rennen, heute nicht mehr. Auch das Sechs-Tage-Rennen wurde eingestellt. Das tut mir im Herzen weh, weil es so eine schöne Sportart ist. Und ich finde es ungerecht, dass es nur das Radfahren trifft. Wo es um viel Geld geht, wird leider viel beschissen. Das ist doch in allen Disziplinen so.
Und wie dopen Sie sich am Samstag?
Wir trinken Apfelschorle und Wasser und sind zufrieden damit.